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Atomare Brennelemente in NRWZu Staub zermahlen

Im Forschungsreaktor Jülich können zerbrochene Brennelemente-Kugeln die Kühlung blockiert haben. Atomkritiker fordern eine Neubewertung der Technologie.

Das Modell einer Graphitkugel aus dem Forschungszentrum Jülich. Bild: dpa

Der Verbleib von 2.285 Brennelementen aus dem Forschungsreaktor im rheinischen Jülich bleibt ungeklärt. Sprecher der rot-grünen NRW-Landesregierung beklagten am Montag gegenüber der taz, das Forschungszentrum Jülich könne nicht vollständig dokumentieren, was genau mit dem radioaktiven Material geschehen sei. "Bis 1982 wurde dort alles handschriftlich erledigt." Wissenschaftsministerin Svenja Schulze forderte eine genaue Auflistung, "welche Mengen nuklearen Materials wann und wo gelagert wurden".

Das Forschungszentrum selbst versicherte dagegen, die Brennelemente hätten das Betriebsgelände nicht verlassen. Bei dem vermissten Material handele es sich um so genannten "Kugelbruch" - der Jülicher Meiler ist ein Kugelhaufen-Hochtemperaturreaktor, bei dem die Brennelemente nicht wie sonst üblich in Stab-, sondern in Kugelform vorliegen. Dieser Kugelbruch sei "zur sicheren Lagerung einzementiert" worden, hieß es in einer schriftlichen Mitteilung. Für Rückfragen war im Forschungszentrum allerdings niemand zu erreichen.

In dem Forschungsreaktor waren von 1967 bis 1988 insgesamt 290.705 Brennelemente-Kugeln zum Einsatz gekommen. In Jülich lagern heute davon 288.161 nicht zerbrochene Kugeln in Castor-Behältern. Im Reaktor selbst befinden sich 197 zum Teil beschädigte Brennelemente. 62 weitere Kugeln lagern zu Untersuchungszwecken in so genannten "heißen Zellen" des Forschungszentrums.

Zu befürchten ist damit, dass damit weitaus mehr Brennelemente in dem Reaktor selbst zu radioaktivem Staub zermahlen wurden als bisher angenommen. "Damit steht die gesamte Funktionsweise der Hochtemperatur-Technologie in Frage", warnt der Atomkritiker Rainer Moormann, der selbst im Forschungszentrum Jülich arbeitet.

Denn die Zerbrechlichkeit der Brennelement-Kugeln gilt als die Schwachstelle dieser Reaktortechnik. Der Wissenschaftler Moormann hatte schon vor zwei Jahren eine aufsehenerregende Studie vorgestellt, nach der Jülich nur knapp einer Katastrophe entgangen ist: Moormann, damals Mitarbeiter im Institut für Sicherheitsforschung und Reaktortechnik des Forschungszentrums, hält Explosionen mit Beschädigung der Reaktorhülle ebenso für denkbar wie unkontrollierte Kettenreaktionen. "Mittlerweile sprechen auch andere Wissenschaftler von einer Tschernobyl-ähnlichen Situation", sagt Moormann heute - wie in Tschernobyl sind auch die Jülicher Brennelemente mit Graphit ummantelt.

Denn die zerbrochenen Brennelement-Kugeln können das Kühlsystem des Reaktors verstopfen: In der einzigen jemals gebauten deutschen Hochtemperatur-Anlage, dem Thorium-Hochtemperaturreaktor (THTR) im westfälischen Hamm, ist 1986 offenbar genau das passiert: Bei dem Versuch, die Rohrleitungen mit Überdruck freizublasen, gelangte Radioaktivität in die Umwelt - der Meiler musste stillgelegt werden.

Verstrahlt ist auch das Gelände des Jülicher Forschungsreaktors. 1978 strömten rund 30 Kubikmeter Wasser aus einer defekten Rohrleitung in den Reaktor. Beim Abpumpen gelangte die kontaminierte Flüssigkeit dann in den Boden - dabei ist der Reaktorkern mit mit radioaktiven Isotopen wie Cäsium 137 und Strontium 90 verstrahlt. Die Jülicher Betreiber verschwiegen diesen Unfall mehr als 20 Jahre - bis in einem Regenwasserkanal Strontium gefunden wurde. Die rot-grüne NRW-Landesregierung müsse in Hamm und Jülich eine umfangreich Kinderkrebsstudie durchführen lassen, fordern deshalb Atomkraftgegner.

Um das Erdreich unter dem Jülicher Reaktor zu reinigen, soll der über 2.100 Tonnen schwere Druckbehälter umgekippt und auf einem Luftkissen 200 Meter wegbewegt werden. Geplant ist die weltweit einmalige Aktion "frühestens 2012", so ein Sprecher des für die Atomaufsicht zuständigen NRW-Wirtschaftsministeriums - doch selbst dann muss der Reaktor noch mindestens 60 Jahre abklingen, bis an seinen Abstransport überhaupt gedacht werden kann.

Atomkritiker wie der Wissenschaftler Moormann fordern jetzt eine Neubewertung der Hochtemperatur-Technologie: "Das Forschungszentrum muss offenlegen, wie viele Brennelemente-Kugeln mit welchen Folgen im Reaktor zerbrochen sind". sagt er - den schließlich arbeite Deutschland weiter am Export der Hochrisiko-Technologie - etwa nach China, wo der Neubau Dutzender Atomkraftwerke geplant ist.

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9 Kommentare

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  • X
    XYZ

    Mann kann die nachfolgenden Generationen nur bedauern.

     

    Wenn es schon möglich ist, dass in unserer deutschen Bürokratie innerhalb von 30 Jahren beträchtliche Mengen von Atommüll einfach "verschwinden", dann möchte ich mir erst gar nicht vorstellen, womit die Menschheit in 200,300 oder 500 Jahren zu tun hat. Dann gibt es bestimmt keine Akten mehr über den Verbleib jeder Tonne radioaktiven Materials.

  • JK
    Juergen K

    Zu Staub zermahlen!

     

    Da wird also irgendwann irgend Jemand

    mit Plastiktüten um die Füsse

     

    diesen Staub herausholen müssen.

     

    Falls er nicht in die Luft geblasen wird.

     

    Ist das nicht schön?

  • C
    öcher

    AN Online:

    ...."Um Rohmaterial für seine Projekte zu bekommen, arbeitete er mit vielen Firmen zusammen, etwa auch Apparateunternehmen für die Textilindustrie, die Edelstahl verwendeten, «mein Hauptmaterial». Und auch mit der Kernforschungsanstalt Jülich arbeitete er zusammen, genauer der Arbeitsgemeinschaft Versuchsreaktor Jülich.

     

    So erhielt er viel Versuchsmaterial, das nie einer Strahlung ausgesetzt worden sei und in Jülich keine Verwendung mehr fand: «Ich war Nutznießer der KFA. Die haben das sehr positiv gesehen. Für sie war das wertloses Material. Für sie war das die beste Art der Abschreibung, dass ein Künstler eine weitere Verwendung findet.» 1971 bekam er dann spitz, dass haufenweise Kugeln unweit vom umzäunten Gelände der KFA in einer Halde verbuddelt worden waren, die wollte er ebenfalls haben.

     

    Erste Grabungen blieben erfolglos, erst der Hinweis einer Anwohnerin führte zum Erfolg. Unter einer drei Meter dicken Deckschicht, die er mit mittelschwerem Räumgerät entfernte, fand der Metallbildhauer, der seit 1963 in Würselen zu Hause ist, in einer zugedeckten Mulde zehn Container mit nach seiner Schätzung einigen hunderttausend Kugeln, die meisten aus Porzellan, die wohl in einer Probephase benutzt worden seien, aber auch welche aus Graphit, natürlich ohne radioaktiven Kern, betont er: «Die sind nie gebraucht worden.» Zeitweise musste Sous ein Lager bei einer Brander Baufirma anmieten, um der schieren Masse Herr zu werden.

     

    Nach und nach verwendete er das Abfallmaterial, nicht nur in Aachen und Bergisch-Gladbach, sondern auch auf seinem Privatanwesen, wo unter anderem das Flachdach mit den Jülicher Kugeln gepflastert ist. Im Garten errichtete er eine Pyramide daraus, 24 Rundlinge im Quadrat, 24 Kugeln hoch. 4308 wurden dafür gebraucht. Alle Besucher, die sich dafür interessierten, erhielten von ihm die Antwort: «Nehmen Sie mit, so viele sie tragen können.» So schrumpfte sein Vorrat, rund 20.000 Kugeln, so schätzt er, sind noch auf seinem Grundstück.

     

    Nicht alle Abnehmer vertrauten dem Künstler blind. «Ich hatte heute sechs Anrufe, ob man sich von den Kugeln trennen müsse.» Der 75-Jährige konnte die Leute beruhigen: «Die sind völlig harmlos und haben mit all dem, was jetzt los ist, nichts zu tun.»

     

    Was nicht verhindert, dass Sous eine klare Meinung zu den womöglich verschwundenen 2285 radioaktiven Brennelementekugeln hat: «Man verunsichert die Bevölkerung. Das muss geklärt werden.»

  • K
    KFR

    Ganz einfach !

    Die verantwortlichen Damen und Herren zur Bastelstunde ( Zusammensetzen der Reste der vermissten "harmlosen" Kugeln) polizeilich vorführen lassen ! Ergänzend Kontrolle ihrer Konto gemäss Korruptionsschutz min für die letzen 30 Jahre.

  • N
    Naturstromer

    Unglaublich, wie arrogant und rücksichtslos hier in den letzten Jahren/Jahrzehnten, gegen jegliche Ethik und Menschlichkeit, Verbrechen an unser aller Umwelt verübt wurden!

     

    Da müßten sich selbst dem größten Atheisten die Haare sträuben.

     

    Um dem für manche Exemplare der Gattung Mensch einzigen Gott namens Mammon zu huldigen, schreiten diese notfalls auch über Leichen.

     

    Echt horrorerregend wozu nackte Profitgier führt!

     

    Bisher hat die Allgemeinheit auch brav dafür bezahlt.

  • O
    Odysseus

    Klingt nicht besonders kompetent:

     

    "Schau mal, ob man in Jülich was findet"

    "2300 Kugeln sind weg"

    "Wo sind Sie denn?"

    "Vielleicht in ASSE 2"

    "Was für Hinweise gibt es dafür?"

    "Weiß nicht, könnte doch sein"

  • R
    Ralle

    Also, eine von den Kugeln habe ich zuhause. Zumindest wurde mir etwa 1985, als ich als Jugendlicher an einer Besichtigung in Jülich teilnahm, eine von diesen Kugeln zur Erinnerung mitgegeben. Ich hoffe nur, dass sie keine strahlenden Substanzen enthält. Auf alle Fälle könnten auf diese Weise ja einige Kugeln abhanden gekommen sein.

  • DT
    Dr. Todt

    Ob jetzt mal die Wahrheit ans Licht kommt? Um das KKW Krümmel herum gab es viele Kinderkrebsfälle.Frau Dr. Feuerhake von der UNI Bremen wies nach, dass die durch radioaktives Fallout ausgelöst wurden. Sie wurde jahrelang in den Medien niedergeschrien und mit angeblich wisenschaftlichenGegenstudien "widerlegt".

    Der Brand im KKW war angeblich total harmlos.

    Es gab über 300 Störfälle.

    Was denken sich diese Menschen dabei? Man weiß doch, dass jedes Wort gelogen ist.

  • U
    Ulla

    Ups, mein Geburtsort und soo genau wußte ich das alles nicht. Vielleicht möchte es dort auch niemand sooo genau wissen? Sonst sind "solche" Probleme immer viel weiter weg ....