■ Atomabkommen zwischen Rußland, Ukraine und USA: Hoffentlich noch nicht zu spät
Die Abrüstung atomarer Massenvernichtungswaffen ist, wo immer sie geschieht, ein Fortschritt für die gesamte Menschheit. Das gilt auch für die Vernichtung von 176 Atomraketen mit 1.800 Sprengköpfen, zu deren Abzug nach Rußland und anschließender Verschrottung sich die Regierung der Ukraine am Freitag in Moskau gegenüber Rußland und den USA vertraglich verpflichtet hat.
Die endgültige Festlegung der Ukraine auf die Atomwaffenfreiheit ist selbst dann richtig, wenn dieser Schritt zum jetzigen Zeitpunkt den Druck auf die fünf traditionellen Atommächte (USA, Rußland, Großbritannien, Frankreich, China) verringern sollte, bei den anstehenden multilateralen Atomwaffenverhandlungen der nächsten 15 Monate selber mehr Abrüstungsbereitschaft zu zeigen. Denn mit der Ukraine als neuem Atomwaffenstaat auf Dauer wäre ein Präzedenzfall geschaffen, auf den sich auch andere Aspiranten berufen könnten – sowohl bei den laufenden Vorbereitungen für die Konferenz zur Überprüfung des Atomwaffen-Sperrvertrages im April 1995 wie bei den nächste Woche beginnenden Verhandlungen der Genfer UNO-Abrüstungskonferenz über ein atomares Teststopp-Abkommen.
Doch ob das gestern in Moskau unterzeichnete Dreier-Abkommen zwischen der Ukraine, Rußland und den USA tatsächlich umgesetzt wird, ist offener denn je. Viel zu lange haben die USA (und andere westliche Staaten) gezögert, Kiew ein ausreichendes Angebot wirtschaftlicher Kompensationen zu machen. Die ursprünglich von Washington offerierten 176 Millionen Dollar waren Knauserigkeit an der politisch falschen Stelle. Auch die Formulierung über die Unverletzlichkeit der geltenden Grenzen in der jetzt von den Präsidenten unterschriebenen Erklärung liest sich auf den ersten Blick besser, als sie aus ukrainischer Sicht tatsächlich ist. Denn Clinton verspricht nicht, für die Ukraine im Falle eines Konflikts mit Rußland einzuspringen – die gemeinsame Erklärung ist kein Beistandspakt, sondern jeweils ein bilaterales Versprechen. Die USA verpflichten sich deshalb lediglich, nicht selbst in der Ukraine einzumarschieren – ein Umstand, den ihnen aber selbst die schlimmsten Nationalisten nicht unterstellt haben.
Die politische und ökonomische Zurückhaltung der Amerikaner könnte sich jetzt rächen. Inzwischen vereint der Widerstand gegen Krawtschuks gestrige Unterschrift im Parlament von Kiew Ex-Kommunisten, Nationalisten und Träumer von einer starken, unabhängigen Atommacht Ukraine. Daran könnte die Ratifizierung des Dreierabkommens scheitern. Sollte sich bei den morgigen Regionalwahlen auf der Krim einer der fünf (von insgesamt sechs) Kandidaten durchsetzen, die die völlige Unabhängigkeit der zu zwei Dritteln von Russen bewohnten Halbinsel fordern beziehungsweise ihren Anschluß an Rußland, könnten die Chancen für eine Ratifizierung weiter sinken. Andreas Zumach
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