Asienexperte über Pakistan: "Einen Staatszerfall sehe ich nicht"
Auch wenn Pakistan von Problemen geplagt ist - es wird noch regiert, meint der Asienexperte Christian Wagner.
taz: Herr Wagner, was meinen Sie, wem der Anschlag in Lahore gegolten hat und von wem er ausgegangen ist?
Christian Wagner: Vermutlich hat er sowohl den Polizisten als auch den Juristen gegolten. Beide Gruppen werden von den Islamisten bedroht: Die Polizei als Vertreter des Staates und die Juristen als Vertreter eines liberalen und demokratischen Pakistan. Und solche Selbstmordanschläge kommen zumeist aus einem islamistischen Umfeld.
Es heißt, es gibt innerhalb des pakistanischen Militärs und der Geheimdienste Seilschaften, die mit den Islamisten sympathisieren. Könnten die Anschläge der letzten Zeit auf solche Seilschaften zurückgehen?
Musharraf selber hat eingeräumt, dass es ehemalige Mitarbeiter des Geheimdienstes gibt, die mit den Taliban sympathisieren. Aber wir wissen nicht, wie weit das reicht. In der oberen Armeeführung würde ich das nicht sehen.
Pakistan ist also zurzeit nicht von Zerfall bedroht?
Nein. Es gibt massive Probleme in den Stammesgebieten und Teilen der nordwestlichen Grenzprovinz und als unabhängigen Konflikt den Aufstand in Belutschistan, aber einen Staatszerfall sehe ich nicht. In den großen Provinzen Pandschab und im Sindh wird schon noch regiert.
Wird sich durch eine neue US-Regierung etwas in der Region ändern?
Wenn in den USA die Demokraten an die Regierung kommen, dann wird sich gegenüber Afghanistan nicht viel ändern. Gegenüber Pakistan werden die Demokraten vermutlich sehr viel stärker auf die Verwendung der Militär- und Wirtschaftshilfe in Pakistan achten. Diese Diskussion darüber, wo dieses Geld hinfließt - mehr als eine Milliarde Dollar pro Jahr - beginnt bereits in den USA. Aber insgesamt wird es nicht weniger Unterstützung geben, denn die USA brauchen weiterhin Pakistan, vor allem das pakistanische Militär. Man tut sich auch schwer, Sanktionen zu verhängen, denn diese könnte die Armen treffen, die sich dann vielleicht den Islamisten anschließen, oder die Mittelschicht, die ist dem Westen eher zugeneigt, oder das Militär, aber das geht gegen die Terroristen im Grenzgebiet vor.
INTERVIEW: ANTJE BAUER
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