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Artisten im Eissalon

■ Ein Besuch in der Eisdiele Tropic des Artistenpaares Kurt Kujawicki und Ursula Eschenbach

Artisten im Eissalon

Ein Besuch in der Eisdiele „Tropic“ des Artistenpaares Kurt Kujawicki und Ursula Eschenbach

Anspruchsvollen EisschleckerInnen, die es auf der Suche nach dem kühlschmelzenden Genußmittel in die Eisdiele „Tropic“ am Böhmischen Platz Ecke Schudomastraße in Neukölln verschlägt, fällt erstmal nur die lange Liste der feilgebotenen Eissorten ins Auge. Neben den gängigen Gattungen Erdbeer, Schokolade, Vanille usw. gibt es hier auch Exoten wie Zimt-, Marzipan- und Marakujaeis, alles hausgemacht. Alkoholgewöhnte Zungen können sich an Eierlikör- und Rumeis laben. Verpackt wird das Eis wahlweise in drei verschiedenen Sorten Hörnchen, Muscheln oder Bechern.

Sobald der Jieper aufs Eis etwas nachgelassen hat, fällt das äußerst ungewöhnliche Ambiente des „Tropic“ ins Auge der Betrachters: Die Wände sind mit Artistenfotos und Zirkusplakaten dekoriert, und in einer Ecke steht ein skuril anmutendes Motorrad in Kindergröße. Den hinteren Teil des Eissalons schmücken afrikanische Masken und Pfeile.

Die wundersame Einrichtung der Eisdiele dokumentiert die Vergangenheit der Besitzer. Kurt Kujawicki, 75, und seine Frau Ursula Eschenbach, 59, sind früher als Artisten um die Welt gereist und im Zirkus, in Varietes, Bars und Fernsehshows von Island bis Nordafrika aufgetreten. Sie tanzte unter dem Namen „Trixa“ auf dem Drahtseil - vom „sterbenden Schwan“ bis zu einer Nummer mit zwei Löwen. Kurt Kujawicki alias „Mendin“ stand mit Darbietungen auf dem Einrad und dem Miniaturmotorrad im Rampenlicht. 1955 lernten sich die beiden in einem Münchner Zirkus bei der Arbeit kennen. Zusammen reisten sie, jeder mit seiner Nummer, von Auftritt zu Auftritt. „Das Vorteilhafteste für Artisten ist es, wenn sie mit dem kleinsten Nudelbrett auskommen. Dann kann man sowohl in den großen Revuen als auch in kleinen Bars auftreten“, findet Kurt Kujawicki. Deshalb gab seine Frau die platzraubende Drahtseilnummer irgendwann auf, tanzte fortan mit ihrem radfahrenden Gatten auf dem Eis und balancierte in der Manege auf seinen Schultern.

Daß sie 1961 ausgerechnet Eisdielenbesitzer wurden, liegt daran, „daß das ein Saisongeschäft ist. Wir sind ja bis 1971 im Winter immer noch aufgetreten.“ Nachdem sie dann ganz aus dem Artistengeschäft ausgestiegen waren, zogen sie aus ihrem ehemaligen Laden in Kreuzberg nach Neukölln, „weil die Miete zu teuer und zu wenig Platz war“. Von März bis November stehen die beiden jeden Tag von morgens um 11 bis nach 22 Uhr hinterm Tresen. „Sport, Theaterbesuche und Urlaub können wir uns nur im Winter erlauben.“

Das „Tropic“ ist die einzige Eisdiele im Rixdorfer Kiez. Nebenbei werden auch noch Spirituosen und Süßigkeiten verkauft. „Unsere Kunden kommen nicht nur zum Eisessen her, sie mögen die Atmosphäre.“ Manche sitzen stundenlang an einem der kleinen Tische, wie der alte Mann, der sich gerade sein zweites Bier bestellt hat. Ein kleiner Junge, der kaum über die Theke gucken kann, kommt herein und kauft für 20 Pfennig Brausewürfel. „An den Süßigkeiten für'n Sechser verdienen wir zwar nicht viel, aber wir finden es wichtig, daß es solche Sachen für Kinder noch gibt.“ Kurt Kujawicki geht zum Regal und zeigt eine bemalte Kachelscherbe und einen Stein mit der Aufschrift: „Für Ursula und Kurt“. „Das sind Geschenke von Kindern aus'm Kiez. Rührend, nicht?“

In seinem Laden will Kurt Kujawicki „den Leuten ein bißchen Romantik und Menschlichkeit“ bieten, denn die Welt, vor allem die westliche, findet er viel zu unmenschlich: „Hier soll alles Geld bringen. Ich hab‘ ja nichts dagegen, Geld zu verdienen, aber wenn dabei die Menschen und die Umwelt kaputt gehen, ist das verwerflich.“ Er träumt von „den Geschäften der Zukunft, wo sie den Leuten nicht in erster Linie das Geld aus der Tasche ziehen, sondern zuhören und ihnen die Chance geben, sich zu entwickeln“. Er demonstriert das an einer Postkarte, „die ich in einem künstlerischen Anfall mal gezeichnet habe“. Zu sehen ist das „Tropic“, Besitzer: H. Lunke und V. Lenzer, „stellvertretend für die kapitalistische Privatwirtschaft, die aber an sich verwerflich ist“. Ein Kind schreibt „Eismann ist doof“ an die Scheibe, „und kriegt dafür keine Ausmecker, sondern ein Eis in die Hand“.

Während der Studentenunruhen hat ihnen wirklich mal jemand „Kommunistensäue“ an die Scheibe geschmiert, weil sie sich solidarisch gezeigt hatten. „Wir haben die Leute, die nicht unserer Meinung waren, aber nicht abgeschrieben, sondern mit ihnen geredet und manche sogar überzeugt.“

Die kleinen Leute aus dem Kiez haben sich vermutlich auch über die Nicaragua-Reise des ehemaligen Artistenpaares gewundert. Dort haben die beiden, „statt wie sonst zum Skilaufen zu fahren“, im letzten Februar in einer Brigade gearbeitet. Gäste hatten sie überredet, ihr Vorurteil zu revidieren, „daß Entwicklungshilfe nichts bringt“. Kurt Kujawicki zeigt begeistert auf das „Nicaragua Libre„-Plakat, das an der Wand hängt. „Wir sind ja als Artisten viel rumgekommen, aber das war das Eindrucksvollste, was ich je erlebt habe.“

Daß die Leute mitunter kein Verständnis für die Meinung und Aktivitäten anderer haben, liegt „vielleicht auch daran, daß sie noch nie hier weggekommen sind“, vermutet er. „Die werden nie beachtet, weil sie nicht so exotisch wirken wie wir Artisten. Aber in jedem Menschen, auch in den Kindern, den Blumenverkäufern und den Leuten aus dem Zeitungsladen, steckt etwas Romantisches, Besonderes. Über die sollte mal berichtet werden!„Kathrin Elsner

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