■ Mehr als 100.000 meist junge Menschen werden vom kommenden Mittwoch an den Evangelischen Kirchentag in Stuttgart besuchen. Die Veranstaltung steht unter dem Motto: „Ihr seid das Salz der Erde“. Erwartet wird ein Happening, das politisch nur schlichte Antworten auf komplexe Fragen zu geben weiß. Der Vorsatz lautet offiziell: „Wie werden wir am wenigsten schuldig?“ Man will sich also nicht die Hände schmutzig machen, schon gar nicht mit Realpolitik. Eine Kritik des deutschen Protesantismus von HerbertAmmon
Unter der Regierung Helmut Kohl war es ein liebgewonnenes Ritual. Alljährlich zur Vorstellung der Polizeilichen Kriminalstatistik warnten die jeweiligen Innenminister vor dem unaufhaltsamen Vormarsch des Verbrechens. Mal waren es gewaltbereite Jugendliche, mal Ausländer, mal linke Chaoten und mal das Organisierte Verbrechen, die die Innere Sicherheit des Landes gefährdeten. Und in der Regel wußten die Politiker auch, was zu tun war: Wir brauchen mehr. Mehr Polizisten, mehr und härtere Strafen, mehr eue Gsetze. Zum Beispiel das Geldwäschegesetz von 1993, die Kronzeugenregelung von 1994, das Korruptionsbekämpfungsgesetz, den Lauschangriff, verdachtsunabhängige Personenkontrollen ...16 Jahre lang hat die Christenunion die Debatte um die Innere Sicherheit bestimmt, mit der Verbrechensfurcht der Bürger gespielt. Nichts eignete sich besser zur Instrumentalisierung als die Entwicklung der Kriminalität. Es ist eben einfacher, sich als markiger ordnungspolitischer Hardliner zu präsentieren, denn Lösungn für die dängenden sozialen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Probleme anzubieten. Es ist allemal populärer, über den Werteverlust der Jugend zu räsonnieren, als ihr eine berechenbare Perspektive des beruflichen Einstiegs zu bieten. In diesem Jahr wird das Zahlenwerk der PKS erstmals unter der Federführung einer rot-grünen Regierung präsentiert. Welche Schlüsse wird Bundesinnenminister Otto Schily für uns daraus ziehen? ■ Von Eberhard Seidel
Dienstag reist Gerhard Schröder nach China. Doch einen „Pekinger Frühling“ wird er nicht erleben. Von dem sprach man vor zehn Jahren, als Tausende von Studenten den Platz des Himmlischen Friedens besetzt hielten, und noch einmal vor einem Jahr, als im Vorfeld des ersten Chinabesuchs von US-Präsident Bill Clinton die Gedanken auch für Intellektuelle frei waren. Ein Jahr später hat sich das Klima verhärtet. Der Bundeskanzler erreicht China inmitten der Asienkrise, die das größte Arbeitslosenheer der Wlt vo sich hertreibt. Zehn Millionen junge Chinesen werden pro Jahr aus den Staatsbetrieben entlassen, seit die Kommunistische Partei ihren Beschluß zur Unternehmensreform faßte. Spannend wird dieser Besuch, wenn Geschichte ins Spiel kommt: zehn Jahre Tiananmen-Massaker am 4. Juni, fünfzig Jahre Volksrepublik am 1. Oktober. Nachdem sein Vorgänger Kohl sich in Peking als Handelsreisender präsentierte, wird Schröder einen politischen Dialog mit den Staatsführern beginnen – und den Deutschen China erklren müssen.Die seit einigen Monaten laufende Kampagne gegen Dissidenten erleichtert die Aufgabe nicht. Ebensowenig der Krieg in Jugoslawien, den die Chinesen als völkerrechtswidrig betrachten. Manchmal hilft Erinnerung: In Schanghai wird der Kanzler die Synagoge besuchen, die aus einer Zeit stammt, in der China für jüdische Deutsche eine der letzten Fluchtstätten vor Hitler war. Damals stand China auf der richtigen Seite der Geschichte, und viele Deutsche wußten es nicht. Schröder mag sehen, ob sichdaran bis heute ewas geändert hat. Ein Blick auf zehn Jahre China ■ von Georg Blume und Chikako Yamamoto
Nicht nur in Sachsen, überhaupt in der früheren DDR steigt die Zahl von Rechtsextremen. Gewalt gegen Ausländer, so scheint es, ist ein ostdeutsches Problem. Eifrig wird nach den Ursachen für dieses Phänomen gesucht. Die sozialistische Erziehung der DDR, der Zwang zum Kollektiv, heißt es, sei schuld. Doch Neonazismus gibt es auch im Westen – trotz aller Reformpädagogik. Die Jugend antwortet mit Schlägen gegen das Fremde. Haben beide Systeme versagt? ■ Von Uta Andresen
Die Welt trifft sich zur Internationalen Tourismusbörse in Berlin. Was heißt schon in die Ferne schweifen? Im Tourismus heutzutage geht es ums Ankommen. Unsere Urlaubsorte sind uns zur besseren Heimat geworden, einfach schöner. Tourismus ist das heimatfühlige Pendant der Globalisierung ■ Von Christel Burghoff und Edith Kresta (Text) Andreas Herzau (Fotos)
■ In einer Nachtsitzung der EU-Chefs setzt sich Frankreich durch: Der Holländer Duisenberg muß als Zentralbankchef nach vier Jahren Chiracs Kandidaten weichen
■ Zur Eröffnung des Klimagipfels tauschen Europäer und Amerikaner ganz undiplomatisch Unhöflichkeiten aus. Derweil verkündet Deutschlands Autoindustrie ungeniert, daß sie die eingegangenen Klimaschutzverpflichtungen nicht einhalten wird
■ Bundesbank und Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung waren sich nie so einig: Die Konjunktur belebt sich 1997 nicht, die Arbeitslosigkeit geht nicht zurück
■ Mit Einfallsreichtum und Chuzpe, vom Verkehrsstau bis zur Kirchenprozession, umgeht die serbische Opposition das Demonstrationsverbot. Oberbefehlshaber der Armee verspricht Studenten, nicht gegen den Protest vorzugehen
■ Japan und Peru sind tief zerstritten über den Umgang mit der Geiselkrise. Noch 380 Geiseln sind im Gebäude. US-amerikanische Spezialeinheiten sind in Lima eingetroffen. Ecuador bietet Geiselnehmern politisches Asyl an
■ Erst rüsten, dann räumen: Wie sich auf der Bonner Minenräumkonferenz Waffenhersteller als Saubermänner geben. Unter den Teilnehmern waren mindestens vier Firmen, die auch an der Produktion von Minen beteiligt sind
■ Innerhalb von nur drei Jahren hat die Zahl der Einkommensmillionäre nach 1989 um 40 Prozent zugenommen: auf rund 24.000 im Westen und 200 im Osten. Wirtschaftsforscher machen Politik der Bonner Koalition verantwortlich