Hallo, hier Hauptstadt, hallo, hier Sprachrohr: Ein halbes Jahr lang haben sich die Berliner Bühnen unter großem medialem Aufwand heiser geschrien. Ein Rückblick auf die vergangene Spielzeit
21 Stunden verbrachten am Wochenende Menschen mit Reclam-Heftchen im Expo-Theater, um die erste Gesamtinszenierung von Goethes „Faust I und II“ zu studieren. Peter „Le texte, c’est moi“ Stein erfüllte alle Befürchtungen: Jede Regieanweisung Goethes wurde Tat, jedes Wort eine große Betonung
Die Schweiz möchte das Freilichttheater vom Geruch nach Heimat und Verbrechen befreien. Doch die Verwandlung der Regionen in Gemeinschaftskunstwerke verlangt nach unbezahlten Frondiensten
Die Stadtrauminszenierung „ZeitenWende“ machte am Wochenende in Gießen die Nacht zum Tag und die City zur Bühne. Hübsche Idee, wenig überraschendes Ergebnis: Wenn der Bürger spielen darf, spielt er am liebsten Konsumrausch. Bericht einer theaterwissenschaftlichen Butterfahrt
Claus Peymann inszeniert Shakespeares „Richard II.“ in der Übersetzung von Thomas Brasch. Am Berliner Ensemble wird aus dem angestrengten jungen König ein kalter Spieler und Machtmensch
Der Mann aus Sri Lanka ist der Gewinner. Christoph Schlingensiefs präzises Spiel mit dem Zynismus ist zu Ende gegangen – und alle haben mitgespielt und Farbe bekannt
Ihr werdet alle Schnittchenschmierer und Sitzpinkler sein: Leander Haußmann, der Prinz of Theaterpop, verabschiedet sich mit „Peter Pan“ als Intendant vom Schauspielhaus in Bochum
Schneewittchen goes Hamlet: Während schon Robert Walser bei seiner Bearbeitung des Grimmschen Märchens schwer gegrübelt hatte, vertraut sich der Schweizer Regisseur Elias Perrig in der Stuttgarter Inszenierung ganz dem Rätsel an und versteckt sein Talent im Detail
Aufschreiben, was nach Sendeschluss noch übrig bleibt: Auf dem Stückemarkt am Rande des 37. Berliner Theatertreffens suchen die jungen Dramatiker die Gegenwart und finden Reality-TV und Vorabendserien
Vom Irrsinn zum eloquenten Kitsch: Für seine erste Premiere am Berliner Ensemble inszenierte der neue Hausregisseur Philip Tiedemann „Marat/Sade“ von Peter Weiss
Unter Schmerzen hat die Jury zehn Stücke zum 37. Theatertreffen nach Berlin geladen und ist, ach, trotzdem mit der Auswahl unzufrieden. Die Theatermacher leiden indes am Bürger und der unerreichten Subversivkraft von Computerviren. Welch hübscher Festivalauftakt!
Dramen, Essays, Romane: Laurent Gaudé ist fest zur Autorschaft entschlossen. Und hervorragend. Im Schauspiel Essen wurde sein Stück „Kampfhunde“ uraufgeführt, das dem jungen französischen Autor bereits den Vergleich mit Bernard-Marie Koltès einbrachte
Elektrische Stühle Fehlanzeige: Wären die Werber der Berliner Kammerspiele doch schon mal früher in ihr Theater gegangen. Auch nach dem Relaunch sitzt man weiterhin bequem in Tassos „Aminta“
René Pollesch bastelt sich mit postdramatischem Theater eine erfolgreiche zweite Autorengeburt. „Bambi Sickafossee“ am Jungen Theater Göttingen ■ Von Jürgen Berger
Mit Boian Ivanovs „Traurige Gesichter“ löst sich das bulgarische Theater von parabelhafter Diktaturaufbereitung. Leider landet es bei trivialer Befindlichkeit ■ Von Hartmut Krug
Franz Xaver Kroetz hat sich für sein neues Stück „Das Ende der Paarung“ Gert Bastian und Petra Kelly zum Vorbild genommen. Mit seiner Uraufführung am Berliner Ensemble schlug Claus Peymann die Premierenbesucher schließlich doch noch in Bann ■ Von Esther Slevogt
Sozialrevolutionäres Pathos, unbedingter Wille zum Neuanfang – all das bietet das neue Leitungsteam der legendären Berliner Schaubühne. Mit der Uraufführung von Sasha Waltz' Choreographie „Körper“ findet heute die Wiedereröffnung statt ■ Von Christiane Kühl