: Artige Kids kritisieren Politiker
■ Kinderparlamente trafen sich zum Bundestreffen im Reichstag, Politiker hörten zu
Nach anderthalb Stunden Reden platzte einem Jugendlichen in weißem Hemd und schwarzer Fliege der Kragen: „Ich bin echt enttäuscht von euch“, beschimpfte der Dresdener seine AltergenossInnen. „Hier kommt doch nüscht bei raus, die wirklichen Probleme sind doch überhaupt nicht angesprochen worden.“ Der Dresdener war einer von 220 Kindern und Jugendlichen, die sich gestern nachmittag im Reichstag zum ersten Bundestreffen der Kinderparlamente unter dem Motto „Keine Zukunft ohne uns“ versammelt hatten.
Kids aus 25 Städten der Bundesrepublik – aus München, Bonn, Bremen, Leipzig, aber auch aus kleineren Orten wie Bünde bei Bielefeld oder Wanzleben bei Magdeburg waren zu der vom Kinderhilfswerk organisierten Veranstaltung gekommen. Berlins Jugend wurde von der Gruppe „Kids beraten Senator“ und „Kiez für Kids“ vertreten. Die am Vormittag in Arbeitsgruppen zusammengetragenen Ergebnisse zu Themen wie Ausländer, Ökologie, Straßenverkehr, Schule, Freizeit und Medien wurden am Nachmittag einigen Politikern – größtenteils der zweiten und dritten Riege – präsentiert. Aus Bonn war die Vizepräsidentin des Bundestages, Renate Schmidt (SPD), angereist. Neben ihr saßen Berlins Jugendsenator Thomas Krüger (SPD), die brandenburgische Arbeitsministerin Regine Hildebrandt (SPD) und einige Vorsitzende von Bundestagsausschüssen.
Wie alte Hasen trugen die Jugendlichen bei der parlamentarischen Aussprache vor, was ihnen alles unter den Nägeln brennt. Was den Dresdener Jugendlichen letztlich so in Rage brachte, war das endlose Gerede über Kleinigkeiten. Zum Beispiel, ob der Knopf, mit dem Fußgänger an der Ampel Grün anfordern können, nun 60 oder 90 Zentimeter hoch angebracht sein soll.
Konkrete Vorschläge, wie man es besser machen kann, machte er jedoch auch nicht. Offensichtlich wurde gestern jedoch eines: Die im Reichstag versammelten Kinder und Jugendlichen zeigten sich ausgesprochen bewandert in ökologischen Fachfragen: Müllvermeidung sei alles, der Grüne Punkt Schwindel. Der 14jährige Tobias aus München forderte, den Benzinpreis auf 5 Mark pro Liter zu erhöhen. Die Hälfte davon soll als Strafe für die Verschmutzung der Umwelt gezahlt werden. Ein Mädchen forderte die Einführung einer Dosensteuer als Beitrag zur Müllvermeidung. „Wir hoffen“, wünschten sich die Jugendlichen, „daß die Poltiker das alles ernst nehmen und wir eine Antwort bekommen.“
Die Zettel mit den Forderungen gingen an Renate Schmidt, die brav versprach, sie an die entsprechenden Fachausschüsse des Bundestages weiterzuleiten. „Ich verspreche, daß Ihr eine Antwort bekommt, nicht etwa in einem Jahr, sondern vielleicht ein bißchen früher.“ Bei dem genannten Zeitraum ging ein Raunen und Lachen durch die Reihen. Für stärkere Ausdrucksformen des Protests waren die eingeladenen Jugendlichen zu artig. Plutonia Plarre
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