Arte-Doku über Intersexualität: Mal Mann, mal Frau, meist Inge
Wer nicht klar als Junge oder Mädchen zur Welt kommt, wird meist "eindeutig operiert". In einer Arte-Dokumentation (Freitag 22.45 Uhr) kommen Intersexuelle, Eltern und Ärzte zu Wort.
Inge, so haben die Eltern ihr Kind genannt. Mädchen, das ist das vorläufige Geschlecht, das sie ihr zugewiesen haben. Inge selbst legt sich nicht fest. Auf die Frage, was sie denn sei, antwortet sie mal "Mädchen", mal "Junge". Inge ist 2004 in den Niederlanden mit männlichen und weiblichen Geschlechtsmerkmalen geboren. Dass sie so uneindeutig sein darf, ist ein großes Glück. Ginge es nach den Ärzten, hätte man ihr Genital bereits kurz nach der Geburt "normalisiert", wie das im Fachjargon heißt. Doch Inges Eltern wollen ihr Kind selbst entscheiden lassen.
Der Normalfall ist das nicht, Ärzte raten meist zur Operation. Jeder 5.000. bis 3.000. Säugling kommt mit uneindeutigen Geschlechtsmerkmalen zur Welt. Die Dokumentation "Tabu Intersexualität - Menschen zwischen den Geschlechtern" von Britta Julia Dombrove lässt Intersexuelle, Eltern und Mediziner zu Wort kommen. Sie bietet zwar eine gute Einführung ins Thema. Mehr leider nicht.
Größtes Manko ist, dass nur Mediziner als wissenschaftliche Referenz zu Wort kommen, aber beispielsweise keine Gender-Forscher. So bleibt Intersexualität eine Krankheit, die es zu behandeln gilt.
Betroffene sehen das anders. "Von denen, die nicht operiert worden sind, und die wir kennen, hören und sehen wir nichts", sagt Claudia Kreuzer vom Verein Intersexuelle Menschen. "Die haben nämlich keine Probleme."
Zwar gestehen auch Ärzte ein, dass sie zu vorschnell operiert haben. Dennoch hinterlässt es einen bitteren Nachgeschmack, wenn aus dem Off immer wieder Wendungen wie "bei einer normalen Entwicklung" fallen. So bleibt Intersexualität eben doch etwas Unnormales zwischen dem Männlichkeits- und Weiblichkeitspol. Doch wie sagt es die Lehrerin der intersexuellen Inge: "Inge ist Inge, und damit hat es sich."
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