Arno Frank auf Kreuzfahrt: Schlimm!

taz-FUTURZWEI-Kolumnist Arno Frank ist am falschesten Ort, an dem man sich aufhalten kann: auf einem Kreuzfahrtschiff. Angeblich „geschäftlich“.

Foto: picture alliance/dpa/AP

Von ARNO FRANK

Der womöglich falscheste Ort, an dem man sich auf diesem Planeten aufhalten kann, ist das Kreuzfahrtschiff. Wobei es nichts nutzt, wenn man, wie ich »geschäftlich« dort zu tun hat, als wäre das ein Freibrief für irgendwas.

Wäre der Zeitgeist mehr als ein flüchtiges Gespenst, ein antiker Gott vielleicht mit Macht und Willen, er würde diese schwimmenden Hotelkomplexe vermutlich sofort versenken – oder mit soundsoviel »Knoten« auf diesen Strand im indischen Gujarat rammen, wo sie dann abgewrackt werden und, der Zeitgeist ist umweltbewusst sowie gewerkschaftlich organisiert, kein Asbest, keine Schwermetalle und keine Öle freigesetzt und die Arbeiter zu fairen Löhnen arbeiten würden.

Weil der Zeitgeist aber damit beschäftigt ist, freitags die Hände engagierter Zukunftsjugendlicher im deutschen Stadtverkehr auf den Asphalt zu kleben, gehen die gigantischen Schweröl- und Mikroplastikschleudern noch immer auf große Fahrt, um der maritimen Flora und Fauna ebenso zuzusetzen wie den idyllischen Gemeinden, in deren eigens ausgebaggerten Häfen sie vor Anker gehen und deren Sehenswürdigkeiten sie mit einer trägen Masse flip-floptragender Passagiere fluten.

Zum Schiff aber hat der Zeitgeist keinen Zutritt. Nicht in eines der 23 Restaurants von der Dönerbude bis zur japanischen Küche, nicht in einen der sechs Pools und zwölf Infinity-Whirlpools, nicht in die Galerie, nicht ins Fernsehstudio, nicht in die Spielhalle und nicht auf die Wasserrutsche. Rein dürfen nur Leute, die »endlich mal die Seele baumeln« lassen und von Russland, Klima oder den hohen Benzinpreisen nichts wissen wollen.

»E la nave va«, wie der Italiener sagt und wie es Fellini mit seinem Schiff der Träume meinte, die Seebestattung einer ganzen Gesellschaft. Manchmal liegen gleich mehrere dieser Pötte in einem Hafen, die »Europa« neben der »Deutschland«, die »Divina« neben der »Magnifica«, die »Mein Schiff« gleich neben der »Dein Schiff«. Aus allen Schornsteinen kokelt’s raus, weil die Maschinen auch bei Stillstand laufen müssen, weil sonst an Bord nichts mehr geht. Über meinem Schiff aber flimmert nur die Luft wie bei großer Hitze, denn es fährt mit LNG.

Mit Problemen nicht behelligt werden

Flüssiggas in der Seefahrt ist die Elektrizität im Straßenverkehr, erklärt mir der Kapitän. Man müsse halt wissen, wo man es tanken kann. Volltanken in Barcelona, schipperschipper, volltanken dann wieder in La Spezia. Dazwischen Meer, das nicht stattfindet. Ein kabbeliges Nichts, mal blau, mal grau. Manchmal kommt ein Containerschiff aus dem Dunst und verschwindet wieder im Dunst. Unterdessen wird was immer in den Tanks schwappt schwimmbeckenweise wegverbrannt.

In der Kabine läuft das Morgenmagazin und der Tatort. Die Bordkamera zeigt kabbeliges Nichts vorn wie hinten. Nachts bleibt die Tür zum Balkon zur warmen Nacht geöffnet, wegen der hohen Luftfeuchtigkeit und Wärme der Nacht aber die Klimaanlage eingeschaltet. Auf einem Kahn knapp unter Kleinstadtgröße.

Die Leute – Familien mit und ohne Kinder, Rentnerpaare, Paare – wollen ihre Ruhe. Die Fährnisse der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sollen hier keine Rolle spielen. Sie wollen gut essen, gut trinken und gut scheißen (die Toiletten haben so eine Vakuumsaugfunktion wie im Flugzeug), sie wollen sich edel betrinken und milde unterhalten lassen, aber nicht zu sehr. Sie spazieren vom Bug zum Heck, von Backbord nach Steuerbord, fahren vom 15. Stock runter in den 4. Stock, tiefer geht es nicht, so wohnt die Crew.

Tagsüber wollen sich die Passagiere in der Sonne grillen, abends wollen sie gerne saufen, nachts wollen sie tief schlafen. Sie bereiten keine Probleme und wollen mit Problemen nicht behelligt werden. Erst recht nicht mit jenen, die sie selbst verursachen. Das ist der Deal. Das ist es, was die Leute wollen, nicht nur auf diesem Schiff. Glücklich wirken sie nicht. Nur ruhig. Sehr, sehr ruhig.

Auf dem Heimflug ein Blick aus dem Fenster auf ein Italien, in dem es seit vergangenem November nicht mehr geregnet hat. Aus einer Höhe von zehn Kilometern ist zu erkennen, dass die Flüsse nur noch Schotter führen. Schlimm.

Dieser Beitrag ist im September 2022 in taz FUTURZWEI N°22 erschienen.

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