Armut: Der Kleinbus, der für bares Geld sorgt
Ein Beratungsmobil der Wohlfahrtsverbände klärt Hartz IV-Betroffene auf - über falsche Bescheide und Behördenwillkür.
Wer vor der Arbeitsagentur in Lichtenberg steht, kommt sich ziemlich klein vor. Das Gebäude ist ein riesiger Klotz aus Glas. Das soll modern aussehen, wirkt aber vor allem kühl. Martina R. ist froh, wieder draußen zu sein. Gestresst steckt sie sich eine Zigarette an. Jeder Besuch bei der Arbeitsagentur in der Gotlindestraße kostet die zierliche 41-Jährige Kraft und Nerven. "Immer muss man hinterherhaken. Man kann sich einfach nicht darauf verlassen, dass die Bescheide richtig sind."
Heute kann sie ihren Bescheid direkt vor der Arbeitsagentur überprüfen lassen. Denn der Beratungsbus der Berliner Wohlfahrtsverbände hat vor dem Gebäude Stellung bezogen, um Arbeitslosengeld II-Empfängern bei dem ganz normalen Kampf mit der Arbeitsagentur zu helfen. Den weißen Bulli zieren die bunten Logos der Wohlfahrtsverbände und das Motto der Beratungsaktion "Irren ist amtlich - Beratung kann helfen". Im Innenraum ist, da wo sich normalerweise die Rückbänke befinden, eine kleine Sitzecke eingerichtet. Dort kann man in Ruhe dem Berater seine Fragen stellen. Bei Bedarf wird mit dem Laptop sofort der Bescheid nachgerechnet oder ein Antrag formuliert.
Vor dem Bulli hat sich mittlerweile eine Schlange von etwa zehn Wartenden gebildet. Stehtische und Sonnenschirme sind aufgestellt. Die Wartenden stehen an den Tischen und unterhalten sich. Einige rauchen, trinken Kaffee, tauschen Anekdoten aus. Martina R. erzählt von der Sache mit dem Kohlengeld. Im Februar hatte sie einen Zuschuss beantragt, um Kohlen kaufen zu können. Der Antrag wurde kürzlich bewilligt, im August. Im Winter mussten sich Martina R. und ihr 18-jähriger Sohn warm anziehen. Kohlen konnten sie jedenfalls keine kaufen.
Ähnlich lange haben die Wohlfahrtsverbände auf das Geld für den Beratungsbus gewartet. Vor drei Jahren hatten sie es bei der Glücksspirale beantragt, vor ein paar Wochen wurde der Antrag bewilligt. Nun können alle Beratungsstellen den Bulli mitsamt Laptop und Stehtischen kostenlos ausleihen, um die Menschen beraten zu können - dort, wo sie Hilfe brauchen.
Seinen ersten Einsatz hat der Beratungsbus in Sachen Arbeitslosengeld II. Das Berliner Arbeitslosenzentrum, eine Einrichtung der Diakonie und der evangelischen Kirche, hat sich den Beratungsbus für drei Wochen geliehen. Vor allen zwölf Arbeitsagenturen werden Sozialarbeiter jeweils einen Vormittag lang Arbeitslose zu Hartz IV beraten.
"Die Bescheide sind einfach nicht transparent", sagt Frank Steger, der Vorsitzende des Berliner Arbeitslosenzentrums. Weil die Rechenwege fehlten, könnten viele das Ergebnis ihres Bescheids nicht nachvollziehen und gar nicht beurteilen, ob er korrekt sei.
Martina R. ist an der Reihe und schildert einem Berater ihr Problem: Täglich arbeitet sie anderthalb Stunden in einer Kita und bastelt dort mit den Kindern. Sie verdient sich ein paar Euro dazu, 165 Euro pro Monat. Davon hat ihr die Arbeitsagentur nun 85 Euro abgezogen. "Das ist doch nicht in Ordnung, oder?", fragt sie Frank Steger ungläubig. Ist es nicht, sagt Steger. "Mindestens 100 Euro müssen Ihnen von ihrem Zuverdienst bleiben. Gut dass Sie nachgefragt haben." Steger erlebt täglich, dass viele Hartz IV-Empfänger ihre Rechte nicht kennen und fehlerhafte Bescheide einfach hinnehmen, statt sich beraten zu lassen. Schon seit der Einführung von Hartz IV gibt es Beratungsstellen. Doch viele Betroffene wissen nichts davon. Auch darum ist der Bus unterwegs.
Nach Stegers Erfahrung können viele Sachbearbeiter in den Arbeitsagenturen noch nicht einmal etwas dafür, wenn sie ALG II-Empfänger schlecht beraten und fehlerhafte Bescheide ausstellen. "Die meisten kennen sich einfach nicht aus." Nach der Einführung von Hartz IV wurde plötzlich viel mehr Personal benötigt. "So wurden Leute - zum Beispiel von der Telekom - durch Crashkurse zu Beratern gemacht, die vorher nichts mit der Thematik zu tun hatten. Viele sind schlicht überfordert", so Steger.
Vor dem Bulli erzählt Peter Beyer von seinen Erlebnissen mit der Arbeitsagentur. Für den arbeitslosen LKW-Fahrer stand eine pflichtmäßige Gesundheitsprüfung an, um seine Fahrerlaubnis zu verlängern. Diese konnte sich Beyer vom Hartz IV-Satz nicht leisten. "Also bat ich die Sachbearbeiterin bei der Arbeitsagentur um die Übernahme der Kosten. Sie lehnte dies mit dem Hinweis ab, für so etwas habe man kein Geld und ich hätte auch keinen Anspruch darauf", erzählt Beyer. So drohte ihm der Entzug seiner Fahrerlaubnis. Der Weg zurück auf den Arbeitsmarkt wäre versperrt gewesen. "Bei einer Veranstaltung der Gewerkschaft riet man mir, derartige Anträge nie mündlich, sondern nur schriftlich zu stellen. Dann müsse man nämlich auch eine schriftliche Ablehnung erhalten, gegen die man dann Widerspruch einlegen kann", sagt Beyer. "Als ich daraufhin die Beraterin bat, mir die Ablehnung meines Antrags schriftlich zu geben, wurde mir die Untersuchung sofort bewilligt." Mittlerweile berät Beyer im Kieztreff selbst ehrenamtlich Hartz IV-Empfänger, die es nicht besser wissen als er damals.
Nach fünf Stunden packen Steger und seine Kollegen ein. Etwa 30 Einzelberatungen haben die Sozialarbeiter an diesem Vormittag durchgeführt. Morgen wird der Beratungsbus vor einem anderen Jobcenter stehen. "Schön, dass es doch noch Leute gibt, die einem helfen." Martina R. lächelt.
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