Armenischer Präsident besucht Türkei: Rückspiel in der Fußballdiplomatie
Der armenische Präsident Sarkasian reist zu einem Spiel der Nationalelf in die Türkei. Die Annäherung stößt bei den Menschen in beiden Ländern auf Kritik.
ISTANBUL taz | Erstmals kam gestern ein armenischer Präsident in das Nachbarland Türkei. Anlässlich des Rückspiels der armenischen Fußballnationalmannschaft um die Qualifikation für die Weltmeisterschaft in Südafrika erwiderte Präsident Sergej Sarkasian den Besuch des türkischen Präsidenten Abdullah Gül, der vor einem Jahr zum Hinspiel der türkischen Nationalmannschaft nach Jerewan gereist war.
Mit dem Besuch Güls in Armenien begann die Annäherung der beiden Länder, die mittlerweile als Fußballdiplomatie in die Annalen der Außenpolitik eingegangen ist. Am letzten Samstag hatten Armenien und die Türkei in Zürich ein Protokoll unterzeichnet, in dem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen und die Öffnung der Grenze festgelegt werden.
Bis dahin sind noch etliche Hürden zu überwinden. In der türkischen Öffentlichkeit wird seit Samstagabend vor allem diskutiert, ob die Annäherung an Armenien nicht die Allianz mit Aserbaidschan schwer beschädigen könnte. Die Türkei hatte ja 1993 die Grenze zu Armenien geschlossen als Reaktion auf die Besetzung aserbaidschanischen Territoriums durch armenische Truppen im Zuge des Krieges um die armenische Enklave Berg-Karabach.
Der türkische Ministerpräsident Tayyip Erdogan hat deshalb in den letzten Tagen noch einmal bekräftigt, dass die Grenze so lange nicht geöffnet würde, wie Armenien nicht wenigstens einen Teilrückzug von aserbaidschanischem Gebiet vollziehen würde. Allerdings laufen die Verhandlungen um Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan parallel zu den Verhandlungen mit der Türkei und stehen nach Auskunft der USA, die mit Russland und Frankreich die Verhandlungen moderieren, kurz vor einem Durchbruch.
Die Opposition in Armenien beklagt, dass die Regierung diplomatischen Beziehungen zustimmen will, ohne dass die Türkei zuvor den Völkermord anerkannt hätte. Beide Länder haben sich geeinigt, eine Historikerkommission zu bilden, was viele Armenier als Verrat am Genozid-Gedenken verurteilen.
Sergej Sarkasian steht innenpolitisch noch weiter stärker unter Druck als seine türkischen Partner. Er hatte deshalb bis zuletzt gezögert, ob er in die Türkei kommen soll. Das Spiel im Stadion der westtürkischen Stadt Bursa fand denn auch unter massiven Sicherheitsvorkehrungen statt. Um die Risiken des Besuchs zu minimieren, flog Präsident Sarkasian auch erst wenige Stunden vor dem Spiel ein und noch in derselben Nacht zurück.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hybride Kriegsführung
Angriff auf die Lebensadern
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Niederlage für Baschar al-Assad
Zusammenbruch in Aleppo
Eine Chauffeurin erzählt
„Du überholst mich nicht“
Parteitag der CDU im Hochsauerlandkreis
Der Merz im Schafspelz
Misogynes Brauchtum Klaasohm
Frauenschlagen auf Borkum soll enden