: Arme Kinder müssen zu Hause bleiben
Für drei Wochen elternfreien Urlaub werden ein paar hundert Euro fällig. Weil die entsprechenden Fördermittel für Bedürftige gestrichen wurden, versuchen es manche Anbieter von Jugendfreizeiten nun mit Patenschaftsmodellen
Wenn am 12. Juli die Sommerferien beginnen, fahren nicht alle 150.000 Berliner Schüler mit ihren Familien in den Urlaub. Damit möglichst viele Kinder trotz knapper Familienkasse und berufstätiger Eltern die Chance bekommen, sich für ein paar Wochen aus dem Großstadtalltag zu verabschieden, bieten zahlreiche Jugendverbände Ferienfahrten und Zeltlager an. Das Angebot reicht vom klassischen Zeltlager über themenspezifische Sport- und Musikfreizeiten bis hin zu Camps mit einem politischen Anliegen. Die Kosten für drei Wochen elternfreien Urlaub liegen bei rund 400 Euro.
Weil immer mehr Familien den Teilnahmebeitrag für die Ferienfahrten nicht aufbringen können, hat sich die Deutsche Schreberjugend Berlin (DSJ), die selbst seit Mitte der 70er-Jahre Zeltlager anbietet, eine Paten-Aktion ausgedacht. Unternehmen und Politiker aus allen Bezirken wurde angeschrieben und gebeten, den Zeltlagerbeitrag für ein Kind oder mehrere Kinder finanzschwacher Familien aus dem jeweiligen Bezirk zu übernehmen. Hintergrund ist die Streichung staatlicher Zuschüsse für Ferienerholungsmaßnahmen mit der Einführung von Hartz IV. „Dadurch bleibt vielen Kindern die Möglichkeit verwehrt, ihr gewohntes Wohnumfeld für zwei bis drei Wochen zu verlassen und neue Kraft zu tanken“, sagt Oliver Gellert, Landesjugendleiter der DSJ. Bei dem in diesem Jahr zum ersten Mal durchgeführten Zeltlager-Patenprojekt haben bisher ein Hotelservice sowie mehrere Abgeordnete von SPD und Grünen zugesagt. Eine eindeutige Absage sei bis dato nur von der FDP gekommen, so Gellert.
„Das Patenprojekt ist eine gute Idee“, sagt Hans-Christian Ströbele, grüner Bundestagsabgeordneter für Kreuzberg, „aber höchstens eine Übergangslösung.“ Er sei auch gebeten worden, die Patenschaft für ein Zeltlager-Kind zu übernehmen, und wolle sich intensiv mit dem Angebot der Schreberjugend auseinandersetzen. „Für viele Kinder und Jugendliche ist die Teilnahme an einem Zeltlager ein wichtiges Erlebnis“, so Ströbele. Die eigentliche Aufgabe der Politik sei jedoch, sich auf staatlicher Ebene für die Wiedereinführung der Finanzierung solcher Ferienfahrten einzusetzen. „Es darf nicht sein, dass die durch Hartz IV entstandenen Defizite mit karitativen Mitteln ausgeglichen werden“, findet Ströbele.
Tilmann Schröder vom Berliner Landesjugendring stimmt dem zu. „Es muss die gesetzliche Grundlage geschaffen werden, Kindern aus finanzschwachen Familien die Teilnahme an Ferienmaßnahmen zu ermöglichen“, fordert er und betont, dass der Landesjugendring das Land regelmäßig auffordere, sich gezielt für die Belange von Kindern aus Hartz-IV-Familien einzusetzen. „Das ist zwar Sache des Bundes“, so Schröder, doch in einer Stadt, in der Kinderarmut eine so große Rolle spiele wie in Berlin, könne man sich nicht einfach heraushalten.
Ob und wann es eine solche Gesetzesänderung gibt, ist nicht abzusehen. Bis es so weit ist, müssen sich Kinder aus finanzschwachen Familien mal wieder mit dem Balkonien-Urlaub bescheiden. NANA GERRITZEN