: Arme Kinder müssen zu Fuß gehen
Stützeempfängerinnen wie Sylvia S. haben Probleme, ihren Nachwuchs täglich zur Kita oder in die Vorschule zu bringen. Ein Sozialticket gibt es nicht mehr. Und die Ämter weigern sich, Kosten zu übernehmen – schließlich gibt es keine Kitapflicht
von MARINA MAI
Klaus Böger will, dass mehr Migrantenkinder und solche aus sozial schwachen Familien Kitas und Vorschulen besuchen. Das sagt der Bildungssenator gerne. Doch weil es seit Januar die Sozialkarte der BVG für SozialhilfeempfängerInnen nicht mehr gibt, können sich gerade arme Familien die Fahrt dorthin nicht mehr leisten. Sozial- und Flüchtlingsberatungsstellen der Stadt berichten von Klagen betroffener Eltern, die sich in den letzten Wochen häufen.
Eine davon ist die Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge. Die meisten Betroffenen wandten sich an Klaus-Jürgen Dahler, der beim PDS-Landesvorstand Flüchtlinge berät. „Die Sozialämter übernehmen die Fahrkosten nicht. Sie begründen das mit der fehlenden Kita- und Vorschulpflicht“, sagt er. Betroffen seien deutsche und nichtdeutsche Sozialhilfeempfänger. Dahler zufolge entscheiden dabei Sozialämter mit einem CDU-Stadtrat nicht anders als die mit einer PDS-Stadträtin. In den 90er-Jahren gab es solche Unterschiede in Berlin bei der Gewährung von Sozialhilfe für Flüchtlinge noch.
Eine Mutter, die keine Fahrkosten für die Begleitung ihrer beiden Söhne vom Sozialamt erhält, ist Sylvia S. aus Lichtenberg. Die Frau lebt erst seit Januar von der Stütze. Seitdem verlange das Sozialamt von ihr, eine Kita in Wohnnähe zu suchen, erzählt sie. Ihre Söhne besuchen aber seit zwei Jahren die entfernte Kita und fühlen sich dort geborgen.
Doch nicht nur die Fahrt in die Kita wird für viele durch den Wegfall des Sozialtickets schwieriger: Von Schulkindern würden Sozialämter bei Schulwegen von 5 oder 6 Kilometern verlangen, zu Fuß zu gehen. Dahler hält das für Achtjährige für völlig unzumutbar. „Es kann zu Ausgrenzungen führen, wenn das Kind von Sozialhilfeempfängern mit der schweren Mappe zur Schule läuft, während seine Klassenkameraden den Bus nehmen. Das kann politisch nicht gewollt sein.“
Auch für Jugendliche über 16 Jahre, die nicht mehr schulpflichtig sind aber Bildungseinrichtungen besuchen, übernehmen die Sozialämter nach Beobachtungen von Flüchtlingsberatungsstellen keine Fahrkosten. Walid Chahrour vom Beratungs- und Betreuungszentrum für Flüchtlingsjugendliche und Migranten kennt junge Flüchtlinge, die bei der Einreise nach Deutschland nicht mehr schulpflichtig waren und deshalb statt der Schule einen Integrations- oder Sprachkurs besuchen. Dafür übernehmen die Sozialämter trotz Mittellosigkeit der Schüler kein Fahrgeld. „Ohne Deutschkenntnisse können sie hier nicht Fuß fassen“, meint Chahrour.
Für Sozialsenatorin Heidi Knake-Werner existiert das Problem nicht. „An uns hat das noch niemand offiziell herangetragen. Ich glaube nicht, dass es solche Fälle gibt“, sagt Sprecherin Roswitha Steinbrenner. Nach Überzeugung der Senatorin seien die Sozialämter zur Übernahme der Fahrkosten verpflichtet, falls Kita oder Vorschule nicht zu Fuß erreicht werden könnten. „Der Besuch dort ist politisch gewollt und dient der Integration und der Bildung der Kinder.“