"Arisierung": Absturz eines Helden

Der als Stasi-Opfer geführte Rechtsanwalt Walter Linse war auch Nazi-Täter.

Opfer und Täter: Walter Linse. Bild: Archivbild/dpa

BERLIN taz Dem Förderverein für die Gedenkstätte Stasi-Gefängnis Hohenschönhausen steht neues Ungemach ins Haus. Dabei hatte er nur einen Preis ausloben und ihn nach einem prominenten Opfer der Stasi und des KGB benennen wollen - dem Rechtsanwalt Walter Linse.

Linse war in Westberlin Mitglied des Untersuchungsausschusses freiheitlicher Juristen gewesen, einer Gruppe zum Kampf gegen die Unrechtstaten der SED-Justiz, die an der Leine des amerikanischen Geheimdiensts CIA operierte. Linse wurde von der Stasi aus Westberlin entführt, den Sowjets überstellt und in Moskau nach einer Prozessfarce zum Tode verurteilt und erschossen.

Aufgrund der Recherchen des Politologen Benno Kirsch stellte sich indes im Sommer dieses Jahres heraus, dass Walter Linse seit Ende der 30er-Jahre in der Chemnitzer Industrie- und Handelskammer (IHK) mit Arisierungsverfahren beschäftigt war. Kirsch ließ keinen Zweifel an der Mitverantwortlichkeit Linses für die Arisierungen, bemühte sich allerdings, Linse entlastende Indizien beizubringen. Der Vorstand des Fördervereins reagierte im August Das Auslobungsverfahren für den Preis wurde ausgesetzt, und eine "seriöse Bewertung der Gesamtbiografie Linses" sollte erstellt werden.

Jetzt liegt eine solche Bewertung seitens des Historikers und Juristen Klaus Bästlein von der "Gedenkstätte deutscher Widerstand" vor. Allerdings nicht vom Förderverein in Auftrag gegeben, sondern von Martin Gutzeit, Chef der Stasi-Unterlagen-Behörde für Berlin. Bästlein weist nach, dass Linse in der IHK Chemnitz Herr über das Verfahren zur Arisierung oder Liquidierung jüdischer Firmen war. Laut Bästlein denunzierte er sogar einen Unternehmer, den er laut Kirsch geschützt haben soll. Nach 1945 verschwieg er seine NSDAP-Mitgliedschaft und avancierte zum Mitglied der Spruchkammer, die Nazis verurteilte.

Bästleins Expertise wurde von Hubertus Knabe, dem Leiter der Gedenkstätte, als "interessengeleitet" und "ohne Belege" urteilend bezeichnet. Jetzt will der Förderverein "seine" Studie in Auftrag geben.

CHRISTIAN SEMLER

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