■ Argentiniens Militär gibt zu, gemordet zu haben: Alles eine Frage der Macht
Da enthüllt ein Ex-Militär, eine Untercharge, mit ungekannter Offenheit, auf welch grausame Weise politische Gefangene zu Zeiten der Militärdiktatur umgebracht wurden. Die Nation ist empört, es ist Wahlkampf, Präsident Carlos Menem erklärt alles für vergeben und vergessen – die Nation erzürnt sich noch mehr. Jetzt gibt erstmals ein amtierender General zu, daß überhaupt Menschen umgebracht wurden – man habe halt nicht gewußt, wie man sonst Terroristen bekämpfen solle, Entschuldigung, sicher, das Militär müsse zu seiner Verantwortung stehen, man könne die Schrecken der Vergangenheit nicht mehr verdrängen und so weiter. Im Klartext: Es war schrecklich, aber es mußte sein. Selbst im Eingeständnis des Terrors und der Folter will Argentiniens Militär noch die edel-aristokratische Rolle des „Retters der Nation“ spielen – denn natürlich waren es „Terroristen“, die da, durch Spritzen betäubt, lebendig ins Meer geworfen wurden. Und gegen Terror muß man sich wehren.
Die Militärs werden damit durchkommen, sie brauchen ja keinen gesellschaftlichen Konsens, sie brauchen nur Macht. Geschwächt durch den verlorenen Krieg gegen Großbritannien um die Malwinen, die Falkland-Inseln, hatte Argentiniens Armee 1983/84 doch nur unter der Bedingung die Regierung an den zivilen Präsidenten Alfonsín abgegeben, daß ihre Machtposition im Lande nicht angegriffen würde. Der „Schlußstrich“, offiziell erst viel später gezogen, war schon vorweggenommen. Die zivile Gesellschaft, zuerst der bürgerliche Raúl Alfonsín, dann der peronistische Carlos Menem, nahm den Deal an.
Unter ähnlichen Vorzeichen hatte sich der Machtwechsel von Militärdiktaturen zur Demokratie auch in den anderen Staaten Lateinamerikas vollzogen, ob nun in Chile oder Paraguay. Überall gaben die Militärs zwar die Regierung ab, blieben aber als Institution erhalten. Und nur so, schien die Lehre der lateinamerikanischen „Demokratisierung“ zu sein, ist die Machtübernahme von einem unbesiegten Gegner überhaupt möglich: als fauler Kompromiß. Gerechtigkeit für die Opfer ist nicht zu haben, die Zeit muß die Wunden heilen.
So hat das lateinamerikanische Militär aller Welt gezeigt, wie man Tausende von Menschen ermorden kann, ohne dafür belangt zu werden. Man muß Macht haben. Und der argentinische General Martin Balza macht mit seinen ach so reuigen Selbstbezichtigungen vor, wie man langfristig dabei sogar moralisch integer bleibt. Schließlich hat er sich entschuldigt. Bernd Pickert
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