: Argentinien: Der Fall Osvaldo Sivak
■ Mitten in Buenos Aires wurde ein und derselbe Bankier gleich zweimal verschleppt, einmal 1979 und einmal 1985 - möglicherweise von denselben Personen aus demselben Sicherheitsapparat / Doch 1979 herrschten die Militärs und 1985 eine Zivilregierung / Noch bleibt Osvaldo Sivak „verschwunden“
Aus Buenos Aires Gaby Weber
Als Argentiniens Parlament Ende Dezember das sogenannte Schlußpunkt–Gesetz verabschiedete, das der Verfolgung der Verbrechen der Militärdiktatur 1976 bis 1983 ein Ende setzen sollte, hat es fürs erste das Gegenteil bewirkt. Bevor das Gesetz am 22. Februar in Kraft trat, haben zivile Richter noch gegen Hunderte von Militärs Anklage erhoben. Und laut Gesetz müssen diese Verfahren nun alle zu Ende geführt werden. Die Polemik um die sogenannte „nationale Aussöhnung“ hat die strafrechtliche, prozessuale Seite der Abrechnung mit der Militärdiktatur in den Vordergrund gestellt. Die politische Seite trat in den Hintergrund. Exponierte Personen sind nun zwar auf der Anklagebank oder im Gefängnis, doch die Sicherheitsapparate der Diktatur haben sich in die Demokratie hinübergerettet. Exemplarisch wird das im Fall Sivak deutlich, der zur Zeit die argentinische Öffentlichkeit bewegt. Buenos Aires 1979 Wir schreiben den 7. August 1979. In Argentinien tobt der „schmutzige Krieg“ der Militärs. Da fällt es kaum auf, daß in der Innenstadt von Buenos Aires ein Mann in ein Auto gezerrt wird. Doch der Entführte ist kein Guerillero oder sonst irgendwie linksverdächtig. Er heißt Osvaldo Sivak, ist 38 Jahre alt und ist Präsident der Finanzierungsgesellschaft „Cooperativa de Ahorro y Credito Buenos Aires Building“. Das Opfer ist mithin ein angesehenes Mitglied der argentinischen Oligarchie. Stunden nach der Entführung melden sich die Kidnapper bei der Familie und verlangen Lösegeld. Ehefrau Marta informiert die Polizei, die bei der Übergabe die beiden Entführer verhaftet. Bei den beiden Kidnappern handelt es sich um Polizeibeamte. Sie werden daraufhin aus dem Polizeidienst entlassen, irgendwelche sonstigen juristischen Schritte gegen sie unterbleiben trotz heftigen Protestes der Familie Sivak. Denn, wie gesagt, das argentinische Militär führt Krieg. Buenos Aires 1985 Sechs Jahre später; Sivaks „Buenos Aires Building“ ist inzwischen in eine florierende Bank umgewandelt worden, und in Argentinien blüht die Demokratie. 7. August 1985: Mitten am Tag wird ein Mann im Stadtteil Palermo Viejo in einen Peugeot 504 gezerrt. Und wieder handelt es sich um Osvaldo Sivak. Ein gewisser „Johnson“ meldet sich bei der Ehefrau und verlangt 1,1 Millionen Dollar Lösegeld. Die Familie informiert wieder die Polizei - in der Hoffnung, wie beim ersten Mal die Entführer bei der Übergabe zu schnappen. Aber diesmal erscheinen die Ordnungshüter nicht. Die Kidnapper machen sich mit den Scheinen aus dem Staub. 13. August 1985: Beim Vizepräsidenten der Sivak–Bank „Buenos Aires Building“, Julio Goyret, meldet sich ein Unbekannter und teilt ihm mit, er solle sich „in das Land, das Ihnen bekannt ist“ begeben, um Sivak entgegenzunehmen. Goyret ist Uruguayer, und steigt noch am selben Tag in eine Maschine nach Montevideo (wo inzwischen seit fast einem halben Jahr die Demokratie ausgebrochen ist). Am Flughafen wird Goyret verhaftet, verhört und muß schließlich nach Argentinien zurückkehren. Was Goyret nicht weiß: in seiner Maschine begleite ten ihn drei argentinische Geheimdienstler vom Bataillon 601. 26. August 1985: Die Familie Sivak bittet um eine Audienz bei Alfonsin. Der Staatspräsident hört sie an und beauftragt mit der weiteren Ermittlung des Falls einen „Mann seines Vertrauens“, den Kommissar Mario Fernandez. Der Kommissar zieht zu der Untersuchung drei Geheimdienstbeamte des Verteidigungsministeriums hinzu: Mario Aguilar, Ruben Barrionuevo und Pedro Salvia. Die Monate vergehen ohne Fahndungserfolge. Schließlich informiert der Beamte Aguilar die Sivaks, daß sich die Ermittlungen kompliziert gestalten würden, daß sich Sivak in Paraguay aufhalte, und daß er (Sivak) 150.000 Dollar benötige, um die Spur weiter zu verfolgen. Doch trotz Zahlung der Summe passiert nichts. Ende November 1985: Vizepräsident Goyret erhält von den Entführern den Befehl, nach Asuncion zu reisen, um Sivak dort in Empfang zu nehmen. Es reisen schließlich der Aguilar–Kollege Barrionuevo, ein Polizeibeamter und ein Angestellter der SIVAK– Bank in die paraguayische Hauptstadt. Weder dem Polizisten noch dem Bankangestellten gelingt die Kontaktaufnahme, aber der Militär Barrionuevo hat Erfolg. Nach der Reise berichtet er Haarsträubendes: er sei in Asuncion entführt und mit Elektroschocks gefoltert worden. Einer der Sivak–Entführer habe für ein neues Lebenszeichen der Geisel 150.000 Dollar verlangt. Für eine zweite Reise Barrionuevos steuert Innenminister Troccoli aus einem Sonder–Fonds seiner Partei UCR persönlich 25.000 Dollar bei. Barrionuevo bringt wieder sensationelle Informationen von seinem Asuncion–Trip mit; er habe den Entführten mit eigenen Augen lebend gesehen, allerdings in schlechtem Gesundheitszustand; die Entführer - so der Militär - würden jetzt 300.000 Dollar für ein Foto von Sivak und 700.000 Dollar für seine Freilassung fordern. Eine dritte Reise Barrionuevos, zusammen mit seinem Kollegen Aguilar, bezahlt wieder Familie Sivak, 125.000 Dollar. Erneut erhöhen die Kidnapper ihre Lösegeldforderung, sie sind jetzt bei 1,5 Millionen Dollar angelangt. Februar 1986: Entführer „Johnson“ teilt der Familie Sivak mit, daß er seine Mit–Kidnapper um die Ecke gebracht habe, und daß er von nun an alleine herrsche. Der Kreis schließt sich 8. April 1986: Die Geheimdienstbeamten des Verteidigungsministeriums Aguilar, Barrionuevo und Salvia werden verhaftet. Mit einer parallelen Untersuchung wird der Sub–Kommissar Moreschi beauftragt. Der macht einen Augenzeugen der Entführung ausfindig, der anhand eines Photos Taddei als Entführer Sivak wiedererkennt. Das Brisante an der Geschichte: Taddei war einer der beiden Kidnapper, die Sivak 1979 entführt hatten und dann festgenommen worden waren. Nun, 1986 arbeitete er im Geheimdienst des Heeres, im Bataillon Nr. 601. Drei Mitglieder dieses Geheimdienst–Bataillons waren im August 85 mit derselben Maschine wie der Vizepräsident der SIVAK–Bank Goyret nach Montevideo geflogen. Der Kreis beginnt sich zu schließen. Die drei unterhalten enge Verbindungen zu dem flüchtigen Raul Guglielminetti und seiner rechten Terror–Organisation „Omega“, wie der Polizist Moreschi herauskriegt. Moreschi bereitet die Verhaftung der drei Militärs des Bataillons 601 vor. Doch stattdessen wird er zum Kommissar Mario Fernandez (“der Mann des Vertrauens“ von Alfonsin) zitiert, der ihm mitteilt, er habe „Befehl von oben, die Entführer weißzuwaschen“. Der Polizeichef di Vietri quittiert seinen Dienst aus „Gesundheitsgründen“. 7. Oktober 1986: Der verhaftete Mario Aguilar bestreitet beim Untersuchungsrichter seine Beteiligung an der Entführung, sagt aber zur Sache aus: Er - Aguilar - habe am 11. August 1985 in Sachen Sivak mit dem Privatsekretär des uruguayischen Staatspräsidenten, Sanguinetti und dem Chef des militärischen Geheimdienstes in Montevideo, General Washington Varela, eine geheime Unterredung gehabt. Am nächsten Tag habe ihn in gleicher Sache der uruguayische Botschafter in Brasilien, Roberto Vivo Bonomi, aufgesucht. Einer packt aus Aguilar macht in seinen Aussagen vor dem Richter drei Personen für die Entführung verantwortlich: Erstens einen gewissen Terrera, der sowohl für den argentinischen als auch für den chilenischen Geheimdienst arbeite und einer der Köpfe der Terrororganisation „Omega“ sei, zweitens Leandro Sanchez, der mit Haftbefehl von der argentinischen Justiz gesucht wird. Sanchez war aus einem Schweizer Gefängnis ausgebrochen, und soll sich in Paraguay aufhalten. Er sei - immer laut Aguilar - der geistige Vater der Sivak–Entführung. Drittens einen Rauschgifthändler namens Olmos, der Sivak in Uruguay gefangen halte. Sowohl die argentinischen als auch die uruguayischen Behörden halten sich in dieser Angelegenheit bedeckt und reagieren nicht auf die Vorwürfe der Familie Sivak, sie kollaboriere - zumindest durch Unterlassung - mit den Kidnappern. Eine Ermittlung gegen den uruguayischen Geheimdienstchef kann Ehefrau Sivak erst nach einem persönlichen Besuch beim Innenminister erreichen. Der argentinische Geheimdienstmann Guglielminetti (wegen zahlreicher Menschenrechtsverletzungen mit Haftbefehl gesucht) wird inzwischen nicht müde, öffentliche Erklärungen abzugeben. Aus Spanien ließ er Ende Januar aus dem Untergrund vermelden, er gehe davon aus, daß Sivak am Leben sei, und daß er im „Zuge eines politischen Geschäftes“ ausgetauscht werden könne.
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