Barscheleien? Moral treibt kieloben

Der Untersuchungsausschuss Filz in Schleswig-Holstein macht Weihnachtspause, ohne bisher viel herausgefunden zu haben. Im Umfeld tut sich Merkwürdiges, und Ministerpräsidentin Heide Simonis fühlt sich dauerhaft diffamiert

„Das Kochen von Gerüchten überlassen wir der CDU“

von PETER AHRENS

Es gab angenehmere Weihnachtsfeste als dieses für Heide Simonis. Die SPD-Ministerpräsidentin von Schleswig-Holstein hat ein Jahr unter Dauerbeschuss hinter sich. Und dass es in 2003 besser wird, steht zurzeit kaum zu erwarten.

Der Untersuchungsausschuss Filz des Kieler Landtages hat erst Halbzeitpause gemacht, und CDU- und FDP-VertreterInnen im Ausschuss haben es sich zur Mission erkoren, die Rolle von Simonis im Filzgestrüpp um den ehemaligen Expo-Beauftragten des Landes, Karl Pröhl, zu beleuchten. Der CDU-Obmann Trutz Graf Kerssenbrock und sein Fraktionschef Martin Kayenburg rückten Simonis gar in die Nähe rätselhafter Todes- und Einbruchsfälle im Umfeld der Pröhl-Affäre.

Simonis selbst spricht davon, „solche Diffamierungen noch nie erlebt zu haben“, und fühlt sich in ihrer „Ehre verletzt“, trotzdem ist man natürlich an der Förde schnell mit Vergleichen bei der Hand. Schließlich war die Kieler Staatskanzlei auch Tatort eines der größten Politskandale dieser Republik. „Es barschelt wieder in Kiel“ titelt die Nachrichtenagentur AP, und immer wieder werden Paralellen zur „Waterkantgate“ von 1987 gezogen.

Tatsächlich haben sich in den vergangenen Monaten mehrere Seltsamkeiten rund um das Themenfeld Pröhl zugetragen: Der Hauptbelastungszeuge, was die Mitwisserschaft der Regierungschefin in Hinblick auf die ungenehmigten Nebentätigkeiten Pröhls betrifft, der Hamburger Projektentwickler Falk Brückner, stirbt beim Joggen. Zwei weitere Zeugen erleiden ebenfalls tödliche Herzinfarkte. In das Büro Brückners wird nach dessen Tod eingebrochen und ein Laptop gestohlen. Auch beim CDU-Ausschussvorsitzenden Thomas Stritzl verschwinden Unterlagen.

All das ließ Kayenburg zu dem Schluss kommen, es falle schwer, „angesichts so vieler Merkwürdigkeiten an Zufall zu glauben“. Und Kerssenbrock, der als parteiintern gescheiterter Aufklärer schon zu Barschel-Zeiten eine Schlüsselrolle innehatte, hatte im NDR spekuliert, dass zumindest einer der Verstorbenen Simonis schwer belastet hätte. Immer mit dem Zusatz, er wolle selbstverständlich nichts behaupten, was er nicht beweisen könne. Stritzl legte nach: „Ich will mir gar nicht vorstellen, dass die Ministerpräsidentin etwas damit zu tun haben könnte.“

Was er mit einem solchen Satz, den er auf einer Weihnachtsfeier gegenüber JournalistInnen mehrfach wiederholte, automatisch tut. Die SPD forderte daraufhin den Rücktritt Stritzls. Der lehnt das ab. FDP-Fraktionschef Wolfgang Kubicki hält sich ausnahmsweise einmal zurück und sagt: „Das Kochen von Gerüchten überlassen wir der CDU.“

Seit Mai tagt der Untersuchungsausschuss, 30 Sitzungen hat er bisher hinter sich gebracht. Simonis der Lüge zu überführen – Hauptzweck der Oppositionsbemühungen – ist bisher nicht gelungen. Auch wenn Kubicki und Kerssenbrock, beide beruflich als Anwälte in einer gemeinsamen Kanzlei verbandelt, fast nach jeder Ausschusssitzung gebetsmühlenartig verkünden, die Ministerpräsidentin sei durch Aussagen schwer belastet worden.

Be- und Entlastungen halten sich bislang die Waage, das klassische Schicksal von Untersuchungsausschüssen. Pröhl und Brückner, der vor seinem Tod einmal vor dem Ausschuss gehört wurde, behaupten, Simonis sei über die Nebengeschäfte Pröhls, zum Beispiel beim Verkauf des Kieler Schlosses, voll im Bilde gewesen. Auch die Staatskanzlei und ihr damaliger Chef Klaus Gärtner hätten Bescheid gewusst. Simonis dagegen beharrt darauf, erst im Februar 2002 von den Vorwürfen erfahren zu haben. Sie habe daraufhin gleich gehandelt. Pröhl wurde entlassen, später nahm Gärtner, zuvor einer der engsten Vertrauten der Ministerpräsidentin, von sich aus den Hut.

Die SPD würde zumindest den Komplex Pröhl am liebsten so schnell wie möglich abschließen. Die Abgeordneten „hätten Wichtigeres zu tun“, meint ihr Obmann Günter Neugebauer und wirft sich für seine Regierungschefin in die Bresche. Eine Taktik, die sich durch die Vorgehensweise der Sozialdemokraten im Ausschuss wie ein roter Faden zieht. Die SPD-Obleute sehen ihre Rolle hauptsächlich darin, die Attacken von CDU und FDP auf Simonis abzubiegen und reflexartig auf die Strategie der Opposition zu reagieren. Die Suche nach den tatsächlichen Hintergründen der Affäre bleibt somit komplett auf der Strecke.

Keine leichte Ausgangsposition für die Grünen, den kleinen Koalitionspartner von Simonis. Strategie der Fraktion und ihres Vorsitzenden Karl-Martin Hentschel war bisher stets, Vorverurteilungen zu vermeiden und erst die Resultate des Ausschusses abzuwarten. Die Rückendeckung für die Regierungschefin fiel dabei bisher allerdings eher dünn aus. Erst als die CDU die Todes- und Einbruchsfälle in den Fokus rückte, machten sich die Grünen für Simonis stark und forderten CDU-Vormann Kayenburg auf, „sich zu entschuldigen und Konsequenzen in der Fraktion zu ziehen“. Den offenen Krach mit dem Koalitionspartner hat man aber bislang gemieden und wird dies wohl auch weiterhin tun.

Am 13. Januar nimmt der Ausschuss seine Arbeit nach der Weihnachtspause wieder auf. Dann soll Finanzminister Claus Möller (SPD) erneut aussagen. Denn der Fall Pröhl ist nicht der einzige Komplex, den der Ausschuss zu untersuchen hat. Auch die Affäre um den Computerauftrag aus dem Finanzministerium gilt es zu klären. Hier hatte der damalige Staatssekretär Joachim Lohmann einen Beratervertrag mit der Firma geschlossen, die kurz zuvor den millionenschweren Auftrag des Ministeriums erhalten hatte. Die SPD will die Ausschussarbeit spätestens bis zur Sommerpause beendet wissen.

Man muss kein Prophet sein, um zu vermuten, dass dies eine sehr optimistische Schätzung ist.