berliner szenen Anger to Energy

Sound of Knallerbsen

Wenn man den Feind nicht besiegen kann, dann muss man sich mit ihm verbünden. Darum summe ich manchmal furchtbare Gassenhauer mit, die in der A-Rotation meines Lieblingsradiosenders zu sein scheinen, und siehe da – nach dreimal Mitsummen habe ich mich von einer gefolterten Hörmemme zur actionterroristischen Spaßmaus gewandelt. Genauso verfahre ich mit der Böllerei zu Silvester. Lange genug bin ich mit Ohrstöpseln in der Mitte der Straße gegangen, um jede Türkische-Kids-Ansammlung einen Haken schlagend und mit echten Flüchen auf der Zunge wie „Ich wünsche mir, dass der kleine niedliche Junge sich beim nächsten Knall die Hand abreißt und seine Basketballkarriere aufgeben muss“ oder „Ich verfluche dich, auf dass dir die Explosion das Gehör zerreißt und du nie wieder ein liebes Wort vernehmen wirst“.

Jetzt habe ich eine Methode gefunden, meinen Anger in Energy umzuwandeln, wie das John Lydon schon immer beschworen hat: In diesem Jahr laufe ich mit geöffneten Armen und irr flackernden, aufgerissenen Augen jeder pubertären Knallerbse entgegen und schreie schon von weitem: „Jaaa, los, bitte beschmeiß mich mit brennenden Lunten, komm, gib’s mir!!“ Oder ich zerre einen der Jungs am Parkaärmel in einen Hauseingang und sage: „Mein Freund, lass uns das Ohr ganz nah an die knisternde Zündschnur bringen, der Sound ist soooo geil hier drin!!“

Der Effekt ist verblüffend: Die Kids flüchten jetzt vor mir. Sie böllern in respektvollen Abständen zu mir und meiner Wohnung, wenn ich mich nähere, verstecken sie sich hinter den Mantelfalten ihrer Mamis, manche unter zwölf fangen sogar an zu plärren, wenn sie mich sehen. Ich feiere einen Sieg, der ein ganzes Jahr anhalten wird. JENNI ZYLKA