Die Stunde des Komödianten

Durch einen vom bühnenreifen Reservisten Jeffers geschundenen Elfmeter rettet Tabellenführer Arsenal in der englischen Liga auf unverdiente Weise ein verdientes 1:1 gegen den FC Liverpool

aus London RAPHAEL HONIGSTEIN

Jerry Zucker, Jim Abrahams und David Zucker, die Macher der „Nackte Kanone“-Trilogie, haben das Geheimnis ihres Erfolges einmal so erklärt: „Lustig ist, wenn ein Mann gegen einen Pfosten rennt oder auf die Nase fällt. Mehr braucht man nicht.“ Ob Gérard Houllier einen der klassischen „Z,A&Z“-Filme, die das britische Fernsehen über Weihnachten zeigte, gesehen hat, ist nicht bekannt; der Verdacht liegt aber nahe. Arsenals Francis Jeffers, der nach seiner späten Einwechslung definitiv nicht mit geistreichen Witzen oder tollen Grimassen auf sich aufmerksam gemacht hatte, wurde von Liverpools Trainer jedenfalls bescheinigt, „ein großer Komödiant“ zu sein – nur weil der Stürmer zehn Minuten vor Schluss im Strafraum der Reds beherzt zu Boden gegangen war. Der Sturz des „Kanoniers“ nach Jon Arne Riises zärtlichem Trikot-Zupfer war in der Tat lachhaft, hatte in Wahrheit aber längst nicht alle Beteiligten erheitert. Weil Thierry Henry mit dem nachfolgenden Elfmeter den 1:1-Ausgleich und gleichzeitigen Endstand erzielte (80.), tobte besonders der vermeintliche Slapstick-Fan Houllier noch lange nach Schlusspfiff. „Wenn man nur Unentschieden spielt, weil das andere Team ein schönes Tor herausspielt, kann man das akzeptieren“, raunte der Trainer, „so aber nicht. Jeffers hat den Schiedsrichter reingelegt.“

Der sonst eher unterkühlte Franzose war derart erregt, dass er die Pressekonferenz sogar versehentlich in seiner Muttersprache eröffnete. Landsmann Arsène Wenger wollte dagegen ein Foul entdeckt haben. „Riise hat Jeffers an seinem linken Fuss getroffen“, referierte der Coach der Gunners, „er hatte keine andere Wahl, als hinzufallen? Eine interessante Formulierung.

Dass das Ergebnis hoch verdient war, konnte dem Trainer des Tabellenführers allerdings niemand absprechen. Arsenal spielt längst nicht mehr auf dem schwindelerregend hohen Niveau des Herbstes, aber eben immer noch besser und konstanter als die Konkurrenz. Die Gäste von der Mersey hatten sich entschlossen, das Spiel des Meisters mit allen Mitteln zu unterbinden, und verteidigten am eigenen Strafraum mit acht Mann. Ohne Ball machte Liverpool eine gute Figur, aber mit dem Spielgerät am Fuß zeigte das Team eine Leistung, die eines Titelkandidaten unwürdig war. Im Mittelfeld jagte ein Fehlpass den nächsten, es gab keine Anspielstationen, nennenswerte Angriffsaktionen erst recht nicht. „Wir waren zu schüchtern“, sagte Houllier; „erschreckend schlecht“ hätte es besser getroffen.

Arsenals Ballartisten konnten sich aber ebenfalls kaum in Szene setzen. Henchoz und Hyppiä nahmen im Highbury, dem ohnehin schon schmalsten Platz der Premier League, Henry und Co. konsequent die Luft zum Atmen; spätestens am Strafraum liefen die Kombinationen der Gunners ins Leere. Dem leicht gelangweilten Publikum blieb so Zeit, die gut 30 weiten Befreiungsschläge der Gäste ironisch zu bejubeln und „Liverpool: can’t pass the ball“ zu intonieren. Erst in der zweiten Hälfte wurde die Partie ansehnlicher. Nach einer Doppelparade des guten Liverpool-Torwarts Chris Kirkland erkannten seinen Kollegen endlich, dass auch auf der Gegenseite ein Tor stand, und wagten sich einige Male tief in feindliches Gelände jenseits der Mittellinie. David Seaman, der in der ersten Halbzeit nach einem klamaukartigen Aussetzer fast einen Gegentreffer von Milan Baros hinnehmen hatte müssen – der Tscheche traf aus vier Metern nur den Pfosten –, bekam trotzdem kaum etwas zu halten. Gegen Danny Murphys platzierten Elfmeter nach Sol Campbells Foul an Baros konnte der Nationalkeeper auch nichts ausrichten. (70.)

„Wir wussten, dass es schwer wird, wenn Liverpool den ersten Treffer erzielt“, sagte Wenger, der trotz einer vergebenen Großchance von Gilberto in der Nachspielzeit mit dem Ergebnis gut leben konnte – Arsenal führt mit fünf Punkten vor Chelsea und Manchester United weiter die Tabelle an, während die vor der Saison hoch gehandelten Reds mit nunmehr neun sieglosen Spielen in Folge die schlechteste Bilanz seit knapp fünfzig Jahren aufweisen. Angesichts der neun Zähler Rückstand auf die Spitze blieb Houllier nur die Flucht ins Klischee: „Das Tolle ist, dass jeder jeden schlagen kann. Es wird noch viel passieren.“

Wenger wünscht sich für den morgigen Mittwoch, wenn es gegen Chelsea schon wieder weitergeht, einen Sieg, um – nicht ganz kalenderkonform – noch „ein schönes Weihnachtsfest“ feiern zu können. Im unwahrscheinlichen Fall eines Misserfolges kann ja der Fernseher Trost spenden – wie Houllier bestätigen kann, ist das Programm zuzreit richtig gut.