Patriotischer Mythos

Biologisches und kulturelles Gedächtnis: Die Schau „Alte Eichen“ im Jenischpark probt das Grenzgängertum

Obwohl unter einer Linde begraben, ist der Dichter Friedrich Gottlieb Klopstock an der Deutschen Eiche schuld. In seiner Lyrik stilisierte er im 18. Jahrhundert den Baum, der lange vorher als Symbol der Stärke und des Willens galt, zu einem patriotischen Mythos, dessen Blätter heute das deutsche Kleingeld schmücken.

Alte Eichen ist der Titel einer Ausstellung im Jenisch Haus, die die alten Eichen im Jenisch Park zum Anlass nimmt, die zum Teil mehrere hundert Jahre alten Zeitzeugen nach ihrer biologischen und kulturgeschichtlichen Bedeutung zu befragen. Gleichzeitig ist die Ausstellung der Abschluss einer zwölfteiligen Reihe von Botanischem Garten und dem Jenisch Haus. Beide Grundstücke gehörten früher zur „ornamented farm“ des Hanseatischen Kaufmanns Caspar Voght (1725-1839), der auf dem Gelände nach englischem Vorbild einen Landschaftsgarten anlegen ließ. Vitrinen im ersten Stock des Jenisch Hauses zeigen auf Karten und zeitgenössischen Postkarten den damaligen Zustand des Parks und demonstrieren anhand von Herbarien den Unterschied zwischen den Stiel- und Traubeneichen.

Trotzdem ist ein Parkspaziergang unabdingbare Voraussetzung für das Verständnis der Vitrinenschau. Auf ihren Führungen stellt die Diplombiologin Barbara Engelschall den Zusammenhang zwischen Kultur und Biologie her. Dass der markante Baum am Waldrand im Nordosten mit über 400 Jahren das älteste Exemplar ist, ist noch einsichtig. Doch dass man das historische Alter des kleinen Eichenwäldchens im Flottbektal an der Art der Krautschicht erkennen kann, erfährt man nur von der Biologin.

Hingenommen werden muss übrigens auch, dass die ausladende, knorrige Solitär-Eiche – die sogenannte „Hude-Eiche“ –nichts Urwüchsiges an sich hat. Ursprünglich standen die Bäume hoch wachsend als Wäldchen zusammen. Erst durch das Waldweiden des Viehs im Mittelalter und die von „Knicks“ umsäumten Äcker, deren Grenzen „Überhältereichen“ markierten, lichtete sich das Gehölz, und freistehende Bäume wuchsen in ihre individuelle Form.

Aller Beständigkeit zum Trotz kann allerdings auch die stärkste Eiche nichts gegen Zeit und Umweltgifte ausrichten. Im Süden des Parks entdeckt eine Besuchergruppe vier kränkelnde Exemplare. Zum einen, erklärt die Führerin, setzen Alter und Unwetter den alten Stämmen zu, zum anderen hinterlassen Stickstoff- und Kerosin-Abgase ihre Spuren. Christian T. Schön

bis 31. Januar 2003, Di–So 11–18 Uhr, Baron-Voght-Str. 50, Gruppenführungen nach Vereinbarung: 04121/452065. Nächste Führung: 4. Januar, 15 Uhr