Attacisten ab sofort mit Feindberührung

Die Globalisierungskritiker ziehen von der Provinz in die Bankenmetropole. Frankfurt künftig auch Ort der Proteste

FRANKFURT taz ■ Spanische wie türkische Lebensmittel, Salsa-Disco, Thai-Restaurant, deutsche Eckneipe, internationale Bordelle – kaum eine Straße der Republik ist so multikulturell wie die Münchner Straße im Frankfurter Bahnhofsviertel. Seit gestern flattert vom Balkon im 6. Stock der Nr. 48 hoch über den Dächern mit Rundum-Blick auf die Türme der Banken und Versicherungen ein weißes Transparent: „Eine andere Welt ist möglich!“ Attac hat seine neuen Büroräume bezogen, und auch sonst ist alles neu bei der jungen Bewegung der Globalisierungsgegner.

Der Umzug vom „beschaulichen Städtchen“ Verden an der Aller in Niedersachsen, sagt Sven Giegold vom Koordinationskreis der Organisation, sei schon ein Kontrastprogramm. Der Standort in der deutschen Metropole des Geldes sei bewusst weit weg von den Politikern und Lobbyisten in der Hauptstadt Berlin gewählt worden. man wollte an den Sitz des Geldes: „Hier in Frankfurt sieht man genau, wo der Feind sitzt.“

Auch die Organisationsstrukturen von Attac-Deutschland haben sich verändert. Seit der Gründung vor anderthalb Jahren mit dem klobigen Namen „Netzwerk zur Kontrolle der internationalen Finanzmärkte“ ist die Bewegung von 500 auf rund 11.000 Mitglieder angewachsen. Über 100 Organisationen haben sich angeschlossen, fast 100 Attac-Gruppen arbeiten regional. „Wir waren“, so Giegold, „organisatorisch einfach am Ende, wir konnten nicht mehr.“ Statt ehrenamtlicher Mitarbeiter werden in Zukunft elf Festangestellte für die Verwaltung sorgen – inklusive Geschäftsführern und Büroleitern. Das wird knapp ein Fünftel des Jahretats von 1,5 Millionen Euro kosten. Der Geschäftsbericht von Attac werde regelmäßig veröffentlicht und sei im Internet abrufbar.

Der Umzug habe sich, sagt die frisch gebackene Geschäftsführerin Sabine Leidig, völlig problemlos gestaltet. Eine Woche dauerte es. Freiwillige Helfer schleppten Möbel, spendeten Einrichtung und Büromaterial, das zwar nicht ganz dem Standard der benachbarten Großbanken entspreche, für Attac aber „einfach klasse“ sei. Das Einweihungsbuffet stiftete ein Kirchenvorstand aus dem Stadtteil. Auch für Frankfurt hätten sich schon zahlreiche Ehrenamtliche gemeldet, „vom Schüler bis zum pensionierten Manager“.

Attac kündigte an, dass Frankfurt auch ein Schwerpunkt künftiger Proteste sein werde. Die Aktionen seien allerdings vorerst noch „geheim“. Hauptaktionsfeld 2003 werde der Protest gegen das Gats-Abkommen (General Agreement on Trade in Services) der Welthandelsorganisation (WTO) sein. Die WTO will Dienstleistungen von der Wasserversorgung bis zur Bildung weltweit weiter liberalisieren und damit privatisieren. Eigene Kampagnen gegen einen möglichen Krieg der USA gegen den Irak plant Attac nicht. Man werde sich darauf beschränken, die wirtschaftlichen Interessen und Folgen von Kriegen aufzuzeigen.

Hugo Braun vom ehrenamtlichen Aktionskreis lehnte einen Boykott US-amerikanischer Waren ab: „Sollen wir etwa keine Jeans mehr tragen?“ Solche Pauschalaktionen hält Braun „nicht für sinnvoll“, denn sie richteten sich „gegen die Falschen.“ Attac werde sich den Vorgaben der Friedensbewegung anschließen, die gut organisiert und „ausgereift“ sei. HEIDE PLATEN