Die Schlichter haben das Wort

Die beiden Ex-Bürgermeister Koschnick und Lehmann-Grube sollen im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes einen Ausweg suchen. Für den Fall des Scheiterns droht Ver.di schon vorsorglich mit einem „großen vaterländischen Streik“

von ULRIKE HERRMANN

176 Gewerkschafter waren gestern einer Meinung: Die Große Tarifkommission von Ver.di beschloss einstimmig, die Verhandlungen mit den öffentlichen Arbeitgebern für gescheitert zu erklären. Ebenso einig war man sich, dass nun Schlichter versuchen sollen, einen Kompromiss zu finden. Die Tarifunion des Deutschen Beamtenbundes schloss sich dem Votum an.

Zuvor hatte man 14 Stunden lang verhandelt – ergebnislos. Dabei bewegten sich die Arbeitgeber sogar ein wenig: Hatten sie zunächst eine „Nullrunde“ gefordert, so erklärten sie sich nun bereit, die Löhne ab Januar um 0,9 und ab Oktober um weitere 1,2 Prozent anzuheben. Die Laufzeit sollte zwanzig Monate betragen.

Allerdings galt dieses Angebot nicht bedingungslos: Die Angestellten im Westen sollten dafür ihre Wochenarbeitszeit von jetzt 38,5 auf dann 39 Stunden erhöhen. Im Osten sollte ein freier Tag wegfallen, denn dort arbeitet der öffentliche Dienst bereits 40 Stunden pro Woche.

Das sei „kein Angebot, sondern eine Zumutung“, kommentierte dbb-Verhandlungsführer Robert Dera. Die Beschäftigten müssten „schon fast mit einem Minusergebnis rechnen“. Ver.di-Chef Frank Bsirske nannte die Arbeitgeberofferte „eine Provokation“ und forderte unverändert „deutlich über drei Prozent“. Verärgert waren die Gewerkschaftsführer auch, dass sich die Arbeitgeber auf keinen Zeithorizont festlegen wollten, wann die Ostlöhne das Westniveau erreichen sollen. Ver.di fordert den bundesweiten Einheitstarif bis 2007. Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) konnte die Gewerkschaftsempörung gestern nicht verstehen. Er habe sehr viel getan, „um die Tarifparteien zusammenzubringen“. Seine Kontrahenten bezeichnete er als „völlig starr“.

Ver.di benannte den ehemaligen Bremer Bürgermeister Hans Koschnick (SPD) als Schlichter. Die Arbeitgeberseite vertritt Hinrich Lehmann-Grube (SPD), der bis 1998 Leipziger Oberbürgermeister war. Beide besitzen reiche Erfahrung mit dem Schlichteramt. Auch in der letzten Tarifrunde für den öffentlichen Dienst, im Mai 2000, vermittelten sie den Kompromiss, der einen Streik gerade noch abwenden konnte. Damals allerdings war Lehmann-Grube stimmberechtigter Schlichter, deswegen ist es diesmal turnusmäßig Koschnick.

Er kündigte an, dass er voraussichtlich am 28. Dezember mit den beiden Konfliktparteien sprechen wolle, um ihre Positionen kennen zu lernen. Die eigentliche Schlichtung werde dann nach Neujahr beginnen. Bis zum 9. Januar muss ein Schlichtungsergebnis vorliegen. Und so viel ist klar: Ver.di-Chef Bsirske wird kaum ein Ergebnis akzeptieren, dass sehr deutlich drei Prozent unterschreitet. Schließlich hängt daran seine weitere Berufsperspektive: Es war seine Idee, in den Verhandlungen nur so viel zu fordern, wie am Ende herauskommen soll.

Misslingt die Schlichtung, endet die Friedenspflicht. Ver.di drohte bereits mit bundesweiten Arbeitsniederlegungen. „Jetzt kommt der große vaterländische Streik“, hieß es. Das wäre durchaus eine Sensation: Der öffentliche Dienst hat in der bundesdeutschen Geschichte erst zweimal unbefristet gestreikt, 1974 und 1992. Diesmal dürfte es aber nicht zum flächendeckenden Ausstand kommen, denn eine „Strategie der Nadelstiche“ schont die Gewerkschaftskasse. Bei den Warnstreiks zeigte sich, wie groß das Chaos werden kann, wenn nur das Flughafenpersonal die Arbeit niederlegt.

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