„Ich bin gar nicht geizig“

„Viele erleben, dass ihr Erbe im Ausland ist. Denen können wir helfen – wenn sie 25 Prozent abliefern“

Interview CHRISTIAN FÜLLER,
HANNES KOCH
und KATHARINA KOUFEN

taz: Alle Achtung, Herr Finanzminister, Sie sind Kult.

Hans Eichel: Warum das denn?

Sie haben Sparen zum Lifestyle erhoben. Ein Elektro-Discounter wirbt mit Ihrem Leitmotiv „Geiz ist geil“.

Ich bin gar nicht geizig. Ich habe nur den für jedermann selbstverständlichen Grundsatz auf den Staat übertragen: Er muss mit dem Geld auskommen, das er hat. Er darf die Kinder von heute nicht mit Billionen Euro Schulden belasten und unablässig noch weitere hinzufügen.

„Eine neue Krawatte erspart einen neuen Anzug“, sollen Sie gesagt haben. Haben nicht auch Sie manchmal Lust zu prassen?

Das passt nicht zu meiner Biografie. Meine Kindheit ist in eine Zeit gefallen, da musste man jeden Pfennig zweimal umdrehen. So etwas können Sie nicht ganz abschütteln.

Kommt es vor, dass Sie Ihr Konto überziehen?

Ich mache keine Schulden.

Ihre Kritiker in der SPD finden, Sie sollten es endlich mal tun! Weil sie mit einem sklavischen Festhalten am Vertrag von Maastricht der Wirtschaft Geld entziehen und den Abschwung verstärken. Unterstützt Ihre Partei Sie überhaupt noch?

Allerdings.

Früher waren Sie der Liebling des Kanzlers. Was haben Sie falsch gemacht, dass er Sie jetzt ermahnen muss, großzügiger zu sein?

Diese Beobachtung kann ich nicht bestätigen. Ich gebe aber zu, dass ich in der Vergangenheit die Nettokreditaufnahme zu einer unverrückbaren Größe hochstilisiert habe. Das war zwingend erforderlich, sonst hätte man den Kurs, mit der Schuldenmacherei des Staates endlich aufzuhören, niemals einhalten können. Andererseits wurde dadurch in der Öffentlichkeit das Missverständnis genährt, man könne unabhängig von der konjunkturellen Situation sparen. Dem ist natürlich nicht so.

Stattdessen darf man, wenn’s kriselt, fröhlich Schulden machen?

Nein. Aber wir verabsolutieren in diesem Jahr die in Maastricht festgesetzte Verschuldungsgrenze von maximal drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts nicht. Um nicht in die Schwächephase der Wirtschaft hineinzusparen, sind wir deswegen über das Drei-Prozent-Limit hinausgegangen. Ausnahmsweise.

Und haben gleich die größte Verschuldung des Bundes seit Theo Waigel angerichtet: 34,6 Milliarden Euro oder fast 70 Milliarden alte D-Mark zusätzliche Schulden in diesem Jahr.

Sie vergessen, dass wir bereits in den letzten Jahren die Nettoneuverschuldung deutlich zurückgefahren haben und dies auch im Jahr 2003 und darüber hinaus fortsetzen wollen. Im Haushalt 2003 ist deshalb auch die niedrigste Neuverschuldung seit der Wiedervereinigung sichtbar.

Sie sind mit der historischen Mission angetreten, der deutschen Sozialdemokratie nach der Schuldenmacherei der 70er-Jahre das Sparen beizubringen. Nun stehen Sie als Ruinierer sämtlicher öffentlicher Haushalte da. Schmerzt Sie das?

Ich bin angetreten, um nachzuholen, was 16 Jahre lang ausgeblieben ist: konsequente Konsolidierung und damit Vorsorge für nachfolgende Generationen. An dieser Konsolidierung halten wir fest. Das wird ein gesellschaftlicher Lernprozess, die zusätzlichen Schulden durch doppelte Sparanstrengungen wieder hereinzuholen.

Wieso eigentlich? Ihr großes Ziel, 2006 fast ohne neue Schulden auszukommen, ist ohnehin nicht mehr zu halten.

Das sehe ich anders. 2006 gibt es einen Bundeshaushalt ohne Nettokreditaufnahme. Außerdem ist dann das gesamtstaatliche Budget nahezu ausgeglichen, also die Etats von Bund, Ländern und Gemeinden plus Sozialversicherung. Ich räume ein, dass der Weg steiler geworden ist.

Laut Institut der Wirtschaft wäre ein Wachstum von 2,5 Prozent jährlich nötig, um ihr Ziel zu schaffen. Ihr eigenes Haus prognostiziert für 2003 aber nur ein Wachstum von 1,5 Prozent. Sie verknüpfen Ihr politisches Schicksal mit einem unerreichbaren Ziel.

Wir dürfen das Ziel nicht weiter hinausschieben. Sonst werden wir es nie erreichen.

Andere Leute nennen das Dummheit. EU-Kommissionspräsident Romano Prodi zum Beispiel sagt, der Maastricht-Pakt sei dumm. Haben Sie das auch mal gedacht?

Der Maastricht-Pakt ist kein mechanistisches Gebilde. Wir müssen uns stets bewusst bleiben, dass wir finanzpolitisch oft in Situationen handeln, die kaum beeinflussbar sind. Eine Regierung steuert nicht die Konjunktur. Das kann sie gar nicht. Wenn es schlecht läuft, muss ich also höhere Defizite hinnehmen. Dumm wäre es, die Konjunktur zu ignorieren – was wir nicht tun.

Dass der Stabilitätspakt nicht starr ist – das hätten Sie besser in den Boom-Zeiten klar gemacht und nicht erst heute…

Haben wir ja auch, aber wenn wir das in den Vordergrund gestellt hätten, was glauben Sie, wie die Schlagzeilen gelautet hätten: Eichel weicht den Stabilitätspakt auf!

Sie haben bald die zweifelhafte Ehre, sich als erster Bundesfinanzminister vor einem Untersuchungsausschuss für Wahllügen verantworten zu müssen. Wussten Sie vor der Bundestagswahl, dass Sie die drei Prozent dieses Jahr überschreiten würden?

Ich kann mich nur wundern. Ich habe immer erklärt, dass der Haushalt 2002 extrem eng ist. Alle wussten: Wenn es konjunkturell nicht läuft, gibt es keine Knautschzone mehr. Als Finanzminister der größten Volkswirtschaft der Euro-Zone darf ich nur auf Probleme hinweisen, wenn ich absolut belastbare Daten dazu habe. In jedem Monatsbericht waren in diesem Jahr alle Zahlen nachzulesen. Aber erst mit den Steuereinnahmezahlen für den Monat September gab es Gewissheit, dass das Stabilitätsziel nicht erreichbar ist.

Aber Sie hätten im August, also kurz vor der Wahl, ihr Defizit Brüssel melden müssen. Warum ist das unterblieben?

Wenn die Flut nicht gewesen wäre, hätte ich genau das gemeldet, was ich nach der Prognose vom Mai dieses Jahres wusste. Aktuellere Zahlen haben mir erst wieder im November vorgelegen.

Herr Eichel, Sie sind ein Mensch, der nicht gern Geld ausgibt. Warum erlassen Sie den Großunternehmen dann jährlich rund 20 Milliarden Euro Körperschaftssteuer?

Zunächst einmal haben wir von den Großunternehmen viel mehr Steuern kassiert als vorher. Denken Sie an die neue Besteuerung für Atomrückstellungen oder die für Versicherungen. Danach wollten wir die Körperschaftssteuer dem internationalen Standard anpassen. Da hatten wir Ausfälle einkalkuliert. Genau wie bei der Senkung der Einkommensteuer für Normalverdiener. Wir machen schließlich Steuersenkungspolitik.

Hat dieses Geschenk an die Unternehmen außer einem Loch in der Kasse etwas gebracht, Arbeitsplätze vielleicht?

Die Behauptung, wir hätten Geschenke verteilt, stimmt ja nicht. Die Direktinvestitionen in Deutschland sind enorm gestiegen. Internationale Firmen investieren wieder. In den Neunzigerjahren haben sie das kaum getan.

Warum verschonen Sie in Ihrer Sparwut eigentlich die Reichen?

Wie kommen Sie denn darauf? Wir haben mit dem Gesetz zum Abbau von Steuervergünstigungen gerade jede Menge Privilegien gestrichen.

Ihre Abgeltungssteuer von 25 Prozent für Gewinne aus Kapitalbesitz ist doch eine astreine Steuersenkung für Reiche.

„Eine Regierung steuert nicht die Konjunktur. Läuft es schlecht, muss ich höhere Defizite hinnehmen“

Das ist Unsinn. Viele Leute zahlen doch überhaupt keine Steuern mehr auf ihre Kapitalzinsen. Das ist die größte Steuerlücke und die größte Ungerechtigkeit, die man sich vorstellen kann. Wir machen damit Schluss.

Wieso reduzieren Sie den Zinssteuersatz für Spitzenverdiener von heute 48,5 Prozent auf nur noch 25 Prozent?

Noch mal: Der größte Teil dieser Steuern wird heute nicht deklariert. Sie stellen meinen Steuervorschlag einem Idealtyp entgegen, der nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat. Warum sind denn weit über 100 Milliarden Euro im Ausland verschwunden – unversteuert?

Und woher nehmen Sie Ihren Optimismus, dass Steuerflüchtlinge 100 Milliarden Euro nach Deutschland zurückbringen?

Viele drücken ihre Sorgen. Ich höre, viele Erben erleben, dass ihre Erbschaft draußen und damit illegal ist. Denen können wir helfen – wenn sie 25 Prozent bei uns abliefern. Der Verfolgungsdruck wächst auf jeden Einzelnen, entdeckt zu werden.

Der Kanzler benutzt die Abgeltungssteuer, um die Vermögensteuerpläne der SPD-Ministerpräsidenten Gabriel und Steinbrück auszuhebeln. Dabei hat das eine mit dem anderen doch gar nichts zu tun.

In gewisser Weise haben Sie ja Recht. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Aber die Vermögensteuer wäre im Bundesrat nicht durchzusetzen gewesen.

Wieso? Auch die CDU-Länder brauchen zusätzliche Mittel.

Geben Sie sich keiner Illusion hin. Die Unionsländer Bayern und Baden-Württemberg wollten im Bundesrat durchsetzen, dass jedes Land selbst entscheidet, ob es die Vermögensteuer will. Sie glauben doch nicht, dass ein Bundesland diese Steuer einführt, wenn andere es nicht tun.

Den SPD-Ministerpräsidenten ging es um Gerechtigkeit. Die Kapitalbesitzer sollten mit ihrem Vermögen zur Finanzierung des Gemeinwesens beitragen. Wie kommt es, dass diese wichtige Frage so schnell in der Versenkung verschwindet?

Man soll den ersten Schritt vor dem zweiten tun. Zunächst müssen wir systematisch alle Steuerlücken schließen. Alle solle ihre Gewinne versteuern.

Glauben Sie denn, dass Ihnen genug Zeit bleibt, alle Steuerlücken zu schließen, alle Haushalte zu sanieren? Vielleicht sind Sie schon bald nicht mehr dran.

Irgendwann bin ich nicht mehr dran. Das ist wahr. Aber das wird dauern. Darauf können Sie wetten.