Kein „rauchender Colt“ in der UNO

Dem Weltsicherheitsrat wurde gestern kein eindeutiger Beweis für einen schwerwiegenden Verstoß des Irak gegen Resolution 1441 vorgelegt

aus Genf ANDREAS ZUMACH

Als John F. Kennedy während der Kubakrise vor 40 Jahren Satellitenfotos von sowjetischen Raketen auf der Karibikinsel präsentierte, waren die wochenlangen Dementis von Nikita Chruschtschow vor der ganzen Welt beweiskräftig als Lügen entlarvt. Haben George Bush und Tony Blair eine entsprechend überzeugende smoking gun in der Hinterhand, mit der sie ihre Behauptung, der Irak unternehme durch die UNO verbotene Rüstungsanstrengungen, stichhaltig belegen und „Lücken und Widersprüche“ in Bagdads Waffenreport an den Sicherheitsrat nachweisen können?

Daran bestehen inzwischen auch bei vielen engen Verbündeten der USA und Großbritannien erhebliche Zweifel. Doch selbst wenn dieser „rauchende Colt“ tatsächlich existieren sollte: im New Yorker UNO-Hauptquartier, wo gestern abend 14 von 15 Mitgliedern des Sicherheitsrates zu einer ersten Beratung über den Bericht zusammentraten, wurde nicht erwartet, dass ein solcher eindeutiger Beweis schon bei dieser Gelegenheit auf den Tisch käme. Bei der Sitzung, der das nichtständige Mitglied Syrien aus Protest gegen die Zensur des Reports durch die fünf ständigen Ratsmitglieder USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien fernbleiben wollte, stand zunächst eine erste Einschätzung durch den Chef der UNO-Waffeninspektoren (Unmovik) im Irak, Hans Blix, und den Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO), Mohammed El Baradei, auf der Tagesordnung.

Beide hatten noch kurz vor Sitzungsbeginn bekräftigt, dass ihre Experten bei einer ersten Prüfung des Berichts noch keine gravierenden Falschbehauptungen und Auslassungen des Irak feststellen konnten. Intern war in den letzten Tagen allerdings durchgesickert, dass Unmovik und IAEO in dem Bericht durchaus auf eine ganze Reihe offener Fragen und Widersprüche gestoßen sind.

Es wurde erwartet, dass Blix und El Bareidei den Sicherheitsrat zu mehr Geduld auffordern, damit den offenen Fragen und Widersprüchen in den nächsten Wochen durch die Inspektoren vor Ort im Irak nachgegangen werden kann. Am 27. Januar – 60 Tage nach Beginn der Inspektionen am 27. November – wollen Blix und El Bareidei dann entsprechend des in der Ratsresolution 1441 festgelegten Zeitplanes – einen ersten offiziellen Bericht vorlegen. Bis dahin dürften sich auch die USA und Großbritannien gedulden mit dem Versuch, im Sicherheitsrat die Feststellung herbeizuführen, Irak habe einen „erheblichen Verstoß“ gegen die Resolution begangen. Zumindest London ist dazu bislang nicht bereit, wie Außenminister Jack Straw im Vorfeld der gestrigen Sitzung deutlich machte. Laut Resolution liegt erst dann ein „erheblicher Verstoß“ vor, wenn Irak sowohl falsche Angaben in seinem Report an die UNO gemacht hat wie auch die Inspektionen vor Ort behindert.

Zu Vorfällen, die sich dann Ende Januar als eine solche „Behinderung“ werten lassen, dürfte es in den nächsten Wochen kommen. Die Bush-Administration drängt die Unmovik mit erheblichem Druck darauf, endlich irakische Rüstungsexperten und Wisssenschaftler außer Landes zu bringen und zu verhören. Wie das genau geschen soll, ist umstritten. Bislang hat Blix lediglich eine Namensliste mit Kandidaten für derartige Verhöre an die irakische Regierung geschickt. Eine Antwort aus Bagdad liegt bislang nicht vor. Das Problem, wie im Ausland befragte irakische Wissenschaftler nach ihren Verhören geschützt und wie Repressalien gegen ihre im Irak verbliebenen Angehörigen verhindert werden können, ist völlig ungeklärt. Sollte es zu physischen Versuchen der Unmovik kommen, aussagebereite irakische Experten außer Landes zu bringen und sollte Bagdad diese Versuche verhindern, könnten die USA dies als Behinderung im Sinne der Resolution 1441 werten und vom Sicherheitsrat eine entsprechende Feststellung verlangen. Wahrscheinlich ist, das der Sicherheitsrat irgendwann Ende Januar/Anfang Februar entscheidet, der Irak habe die Resolution 1441 „erheblich verletzt“.