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: Richtungsstreit in der Union

Sieger und Verlierer scheinen klar: Das höchste Gericht hat das Zuwanderungsgesetz gestoppt. Da könnte man meinen, der Katzenjammer bei Rot-Grün müsse groß und der Triumph der Union noch größer sein. Doch weit gefehlt. Das Urteil hat nicht der Regierung einen Richtungsstreit beschert, sondern der Union.

Kommentarvon LUKAS WALLRAFF

SPD und Grüne haben sich nach dem Urteil erstaunlich schnell geeinigt. Vorerst keine Änderungen am Gesetz, dafür ein neuer Anlauf. Und geschlossen will man sein. Die Grünen sind zu weiteren Zugeständnissen bereit, um ihr Prestigeprojekt zu retten. Dafür hat Innenminister Otto Schily (SPD) hoch und heilig versprochen, diesmal nichts ohne den kleinen Koalitionspartner zu entscheiden. Bloß keine neue „Kakophonie“ vor dem Weihnachtsfest: So will Rot-Grün in die Winterpause gehen.

Ganz anders bei der Union: Die Reaktionen von CDU und CSU könnten unterschiedlicher kaum sein. Während sogar Hessens Roland Koch „80 bis 90 Prozent“ des rot-grünen Gesetzes gut findet, setzt Edmund Stoiber auf Totalkonfrontation. Die Kreide aus Wahlkampfzeiten schnell wieder ausgespuckt, findet der Kanzlerkandidat im Wartestand zurück zu seinem Lieblingsthema: die Angst vor Überfremdung. Er und kein anderer will bei den anstehenden Verhandlungen über das Zuwanderungsgesetz den Kurs der Union bestimmen. Die Neuauflage des Gesetzes sei eine „Provokation“, tönt Stoiber. Da muss man dagegenhalten. Einen ersten Teilerfolg hat der CSU-Chef errungen. Nicht weniger als 91 Änderungsanträge will die Union stellen.

Nur dumm, dass der CDU-Experte Peter Müller gleichzeitig verkündet, über manche dieser Punkte könne man durchaus reden. Manches von dem, was der Saarländer heute sagt, erinnert an den Reformer Müller, der seiner Partei vor zwei Jahren erklärte, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. Damals hatte er begriffen: Auf die Dauer kommt die Union mit ihrer Verweigerungshaltung nicht durch. Dafür sind der Druck der Wirtschaft und der gesellschaftliche Konsens für ein modernes Einwanderungsrecht zu groß. Nur weil Stoiber im Wahlkampf ein „Nein“ gefordert hatte, schwenkte Müller um.

Nun geht es wieder um eine Richtungsentscheidung. Nicht zuletzt sein Opportunismus spricht dafür, dass sich Müller diesmal nicht an Stoiber orientiert, sondern an der Realität. Und die wird die Union zum Umdenken zwingen – spätestens nach den Landtagswahlen.

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