„Strittige Debatten sind nichts Schlechtes“

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT Das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut DIW feiert 90. Geburtstag. Der Ökonom Gustav Horn hat keine guten Erinnerungen an seine letzte Zeit dort – und gratuliert trotzdem

■ leitet das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK. Von 1986 bis 2004 war er DIW-Konjunkturexperte. Er gehörte zu den geschassten Mitarbeitern.

taz: Herr Horn, das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung wird 90 Jahre alt. Wie wichtig ist das DIW heute?

Gustav Horn: Erst einmal herzlichen Glückwunsch an die Kollegen! Ich nehme mit Freude zur Kenntnis, dass das DIW in den vergangenen Jahren wieder an Bedeutung gewonnen hat.

War das DIW zwischendurch unwichtig?

Das Institut hatte sich zeitweise ganz aus wirtschaftspolitischen Themen zurückgezogen und nur noch akademische Forschung betrieben. Die Jahre unter dem ehemaligen Präsidenten Klaus F. Zimmermann waren kein guter Zustand.

Der jetzige Präsident Marcel Fratzscher schlägt ein Schuldenmoratorium für Griechenland vor. Was halten Sie davon?

Es ist eine vernünftige Idee, dass die Griechen ihre Schulden erst bedienen sollen, wenn ihre Wirtschaft wieder wächst. Dies sollte ein Element einer umfassenden Lösung sein. Es ist ja trivial: Man kann Zinsen nur zahlen, wenn es Erträge gibt.

Da Sie so zufrieden mit dem DIW sind: Ist Ihr Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung da noch nötig?

Ich bitte Sie! Unsere Themen sind oft andere, weil wir die Perspektive der Arbeitnehmer und ihrer Familien in den Mittelpunkt stellen. Zudem kommen wir oft zu unterschiedlichen Einschätzungen. Marcel Fratzscher ist etwa der Meinung, dass man staatliche Investitionen durch private Geldgeber finanzieren sollte. Wir haben erhebliche Zweifel, dass man das tun sollte. Denn es wäre sehr teuer, weil der Staat hohe Renditen versprechen müsste. Aber solche strittigen Debatten sind nichts Schlechtes.

Was soll die Politik mit so unterschiedlichen Ratschlägen anfangen? Die Bundeskanzlerin hat sich kürzlich beschwert, dass die Wirtschaftswissenschaften nicht weiterhelfen.

Da kann ich die Kanzlerin verstehen. Nehmen Sie nur das letzte Gutachten des Sachverständigenrats. Die Argumente gegen den Mindestlohn waren geradezu absurd – und sie sind inzwischen von den Fakten widerlegt worden.

Aber wie soll sich die Politik verhalten, wenn ständig unterschiedliche Ratschläge kommen? Bei Griechenland rät das DIW zu einem Schuldenmoratorium, während andere Ökonomen wie Hans-Werner Sinn den „Grexit“ fordern.

Diese Unterschiede zeigen, dass wir nicht im Bereich der Mechanik tätig sind. Viele Volkswirte hängen der Illusion an, dass sie eine Naturwissenschaft betreiben. Stattdessen muss man sehr präzise beschreiben, unter welchen Bedingungen die eigene Schlussfolgerung gilt. Entscheiden muss dann die Politik, nach ihren Prioritäten.

■ in Berlin ist das größte deutsche Wirtschaftsforschungsinstitut. Es wurde 1925 als Institut für Konjunkturforschung gegründet. Auch nach der Umbenennung behielt es diesen Schwerpunkt bei und war von 1950 bis 2007 an der Gemeinschaftsdiagnose beteiligt, mit der die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute die Bundesregierung beraten. Damals galt es als eher nachfrageorientiert.

■ Der von 2000 bis 2011 amtierende Präsident Klaus F. Zimmermann nutzte seine Position dann aber vor allem, um die Agenda 2010 voranzutreiben. Intern warf man ihm vor, die wirtschaftspolitische Analyse zu vernachlässigen. Nachdem Zimmermann wichtige Mitarbeiter der Konjunkturabteilung entlassen hatte, bezweifelte auch das Bundeswirtschaftsministerium die Kompetenz des DIW und strich es aus dem Kreis der Institute für das Gemeinschaftsgutachten. Erst seit 2013 ist es wieder dabei. (bw)

Das DIW war vor 90 Jahren das erste Institut, das Konjunkturforschung betrieb. Inzwischen weiß man: Wirtschaftsprognosen sind eigentlich immer falsch. Ist Konjunkturforschung noch sinnvoll?

Da muss ich widersprechen. Die Prognosen sind nicht falsch, sondern nur nicht ganz exakt. Man entscheidet sich für die Prognose mit der höchsten Wahrscheinlichkeit – die liegt aber nicht bei 100 Prozent, sondern kann auch nur 55 Prozent betragen.

Welchen Rat haben Sie für das Geburtstagskind DIW – und alle anderen Ökonomen?

Sie sollten sich den realen Problemen zuwenden. INTERVIEW: ULRIKE HERRMANN