KONRAD LITSCHKO ÜBER DIE ANERKENNUNG VON OPFERN RECHTER GEWALT
: Kultur des Abhakens

Es ist die Ausgeburt eines gesellschaftlichen Versagens. Mehr als 150 Menschen starben seit 1990 durch die Gewalt rechtsextremer Täter. Totgeprügelt, erstochen, verbrannt. Begleitet wurden die Taten vielerorts von einem Klima des Wegschauen: nicht einschreiten, nicht wahr haben wollen, abhaken.

Dass bis heute nicht mal die Hälfte dieser Taten offiziell als rechtsextrem anerkannt werden, ist Teil dieser Haltung.

64 rechte Morde registrierten die Behörden. Der Rest: rivalisierende Jugendgewalt, Alkoholtaten, Motivlage ungeklärt. Auch das klingt verdächtig nach: abhaken.

Der Schritt, den Brandenburg mit einer externen Aufarbeitung nun gegangen ist, ist daher überfällig. Dass die Zahlen der Forscher gleich doppelt so hoch liegen wie die bisher anerkannten, zeigt umso mehr, wie notwendig eine gründliche, unabhängige Untersuchung ist.

Wie anders läuft es bisher in den anderen Ländern. Dort prüft alleinig die Polizei die Altfälle, koordiniert durch das BKA. Anfangs war selbst der Indikatorenkatalog dieser Revision geheim. Folgerichtig das Resultat des Ganzen: Kein einziger Fall wurde bisher nachträglich neu bewertet.

Das ist absurd. Denn das Problem ist ja auch die Behörde selbst, die die Gewalttaten aufarbeiten soll. Es sind die Polizisten, die die Taten als rechtsextrem einstufen – oder eben nicht. Die BKA-Zwischenbilanz zeigt, dass auch drei Jahre nach Aufdecken der NSU-Morde der Blick hier nicht geschärft wurde.

Es führt kein Weg daran vorbei, die Fälle unabhängig aufzuarbeiten, so wie jetzt in Brandenburg. Denn damit beginnt die öffentliche Debatte über rechte Gewalt und es entstehen Risse in der Kultur des Wegsehens. Wie nötig das weiter ist, zeigt derzeit Meißen, Lübeck, Tröglitz …

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