Von Afghanistan über Paris und Brüssel auf den Rasen

ANKUNFT In Berlin spielen Geflüchtete regelmäßig Fußball. Auch ein Frauenteam gibt es schon

Frauen sehen das Training eher als zusätzliche Belastung denn als Entlastung

BERLIN taz | Auf dem Wrangelritze genannten Kunstrasenplatz des FSV Hansa 07 in Berlin-Kreuzberg spielen etwa 20 junge Männer Fußball. Ihre bunten Trikots bilden einen Kontrast zum herbstlich-grauen Himmel mitten im Juni. Die Stimmung ist gelöst, es wird gelacht, die Spieler klatschen einander ab. „Champions ohne Grenzen“ steht auf einem Transparent hinter einem der Tore. Gemeint sind die jungen Männer auf dem Rasen, die aus ihren Heimatländern geflüchtet sind und sich hier einmal in der Woche zum Kicken treffen.

Hussein Ali Ehsani ist einer der Kleinsten auf dem Platz. Als er mit 13 Jahren Afghanistan verlassen hat, ohne konkretes Ziel und ohne seine Familie, wusste er lediglich, dass der Ball rund ist. Zweieinhalb Jahre hat er im Iran gelebt, als Wachmann gearbeitet. Eine Schule durfte er nicht besuchen. Ehsani zog weiter nach Griechenland, bis er dort nach drei Jahren das Flüchtlingswohnheim verlassen musste. Über Paris, Brüssel und Hamburg landete er 2011 in Berlin, zog in ein Wohnheim in Kreuzberg und stellte einen Asylantrag.

„Damals war meine Situation nicht so gut“, blickt der heute 22-Jährige zurück. Ein Mitbewohner und ein Werbeflyer machten ihn 2012 auf „Champions ohne Grenzen“ aufmerksam. Obwohl er von Fußball nichts verstand, ging er zum Training. „Wir dachten, wir müssen uns irgendwie beschäftigen, damit wir nicht verrückt werden, nicht so viel über unser Asylverfahren nachdenken.“

Zunächst sei ihm das Fußballspielen schwergefallen, seine Mitspieler haben ihn häufig getadelt. „Wenn man im Kopf keine Sicherheit hat, kann man sich nicht so gut auf eine Sache konzentrieren“, stellt Ehsani heute fest. Trotzdem spielte er weiter. Mit Mitspielern und TrainerInnen unterhält er sich auf Deutsch, verbesserte dadurch seine Sprachkenntnisse.

„Für viele sind wir der erste Kontakt zu Deutschen auf Augenhöhe, außerhalb der Behörden“, erklärt Carolin Gaffron. Sie ist Mitinitiatorin und Trainerin bei „Champions ohne Grenzen“. Die Berlinerin spielt Fußball, seit sie elf Jahre alt ist, baute in Neukölln eine Straßenfußballliga für Mädchen auf und gründete gemeinsam mit einigen Freunden den Verein „… weil Fußball verbindet“. Im April 2012 entstand in Kooperation mit der Kontakt- und Beratungsstelle für Flüchtlinge und dem Verein FSV Hansa 07 das Projekt „Champions ohne Grenzen“. Sie organisierten die ersten Fußballtrainings in der Wrangelritze, damals mit acht bis zehn Kickern. Gaffron und die anderen TrainerInnen sind aber auch Ratgeber, stellen Kontakt zu Anwälten her, vermitteln Sprachkurse. „Unsere Arbeit geht über den Fußball hinaus, wir verstehen uns als Netzwerker.“

Davon profitierte auch Hussein Ali Ehsani. Über „Champions ohne Grenzen“ fand er eine WG, seine Situation hat sich seitdem verbessert. Als der Verein sich vergrößern und auch ein Kindertraining anbieten wollte, bot sich Ehsani als Trainer an. „Ich dachte, wenn sie mir helfen, muss ich auch etwas machen. Ich kann nicht so gut Fußball, aber gut mit Kindern.“ Zu dritt begannen sie, Flüchtlingskinder zu trainieren. Mittlerweile gibt es fünf Kindertrainings, drei für Erwachsene und zusätzlich ein Frauenteam, auch wenn diese Gaffron zufolge schwieriger zu erreichen sind: „Frauen sind stärker in den Alltag eingebunden. Sie sehen das Training eher als zusätzliche Belastung denn als Entlastung.“

Die „Champions ohne Grenzen“-Teams spielen Freundschaftsspiele gegen Vereins- und Freizeitteams, einige der mittlerweile über 50 Spieler wechselten bereits zu regulären Vereinsmannschaften. Hussein Ali Ehsani freut sich über die Entwicklung des Projekts. Er macht gerade seinen Hauptschulabschluss nach, will später einmal Erzieher werden. Es scheint, als sei er endlich angekommen. RONNY MÜLLER