Der Ball ist noch nicht rund genug

NATIONALISMUS Begeisterung für Frauenfußball ist wunderbar. Doch sie gilt nur dem deutschen Team. Leider. Muss das so sein?

VON MARTIN KRAUSS

Wer den Fußball liebt und sich in, sagen wir: eher linken Kreisen bewegt, kennt die Einwände: Er ist eine kapitalistische Veranstaltung, bei der Menschen als Waren von einem zum anderen Verein transferiert werden. Er ist eine patriarchale Veranstaltung, bei der Männer in kurzen Hosen als maskuline und heterosexuelle Idole verehrt werden. Er ist eine nationalistische Veranstaltung, bei der „Doitschland“ und „Sieg“ und „Heil“ gebrüllt wird.

Als Alternative gilt vielerorts der Frauenfußball: Erstens: nicht gerade durchkapitalisiert, weil da kaum Geld fließt. Zweitens: einer patriarchalen Kultur steht der Umstand entgegen, dass dort Frauen kicken, und der Homophobie der Umstand, dass es einen hohen Anteil an Lesben gibt. Drittens findet man keinen deutschnationalen Überschwang, denn in Stadien, in denen Weltklassefrauenfußball geboten wird, geht es traditionell zivilisierter zu.

Doch auch der Frauenfußball hat, ideologiekritisch betrachtet, seine Tücken: Gerade in einer Sportart wie dieser gedeiht Nationalismus leichter, denn sie erlaubt im Grunde keinen antinationalen Habitus. Das liegt nicht am bösen Willen derer, die sich für ihn begeistern, sondern daran, dass Frauenfußball trotz der enormen Fortschritte der letzten 20, 30 Jahre immer noch kein globalisierter Sport ist. Gerade weil – im Gegensatz dazu – im Männerfußball der Sportweltmarkt weitgehend erschlossen ist, kann er leichter ohne nationalistische Borniertheiten auskommen: Man kann sich in jedem Winkel dieser Erde für den brasilianischen Fußball begeistern, man kann Fan der englischen Premier-League-Klubs Manchester United oder Liverpool FC sein, und auch der Argentinier Lionel Messi oder der Niederländer Arjen Robben lassen sich nationenübergreifend anbeten.

Fußball ohne Nation

Je kapitalistischer er durchdrungen ist, desto unnationaler lässt er sich begucken. Ein Spiel zwischen Brasilien und Spanien zu schauen, ist auch für einen sehr national eingestellten deutschen Fußballfan keine Qual aus irgendeinem Reeducation-Programm. Und ein Champions-League-Finale zwischen dem FC Barcelona und Juventus Turin hat sportlich betrachtet keinen geringeren Reiz als eines zwischen Bayern München und Real Madrid.

Der Frauenfußball aber hat diesen Entwicklungsgrad noch nicht erreicht: Hier agieren keine Weltmarken, hier existiert kein globaler Fußballsachverstand: Schon die Spielerinnen aus England oder Japan sind kaum bekannt – bestenfalls, dass mal eine in der Bundesliga gesichtet wurde. Und auch dann haben nur wenige Experten die Möglichkeit, spielerisches Potenzial einzuschätzen, denn: Wer verfolgt schon die Frauenbundesliga regelmäßig? Die einzigen Ausnahmen kommen aus den USA, wo die Kapitalisierung teils schon so weit ist, dass Profis wie Hope Solo oder Abe Wambach selbst werberelevante Marken sind.

In Deutschland kennt man zwar Celia Sasic, Alexandra Popp und Nadine Angerer. Aber nur, weil sie deutsche Nationalspielerinnen sind. Man kennt sie nicht vom Weltmarkt oder wenigstens von ihren Clubs her. Und deswegen, weil deutsches Frauenfußballpublikum, gerade das, welches sich aus (guten oder schlechten) Gründen vom Männerfußball abwendet, sich bestenfalls mit deutschen Spielerinnen auskennt, existiert hier automatisch eine Hinwendung zu Schwarz-Rot-Gold.

Das erinnert an die Frühzeiten des Männerfußballs, als mangels massenmedialer Verbreitung Fußball in Deutschland nur in Ober- und niedrigeren Ligen gespielt wurde und Gastspielen ausländischer Vereine immer etwas Exotisches anhaftete.

Es gibt noch ein zweites Argument, warum es gerade Sportarten wie der Frauenfußball sind, die Nationalismus verstärken: Wer gerade mal auf die Kickerei im eigenen Land guckt, hat keine Ahnung von anderen Ländern. Entsprechend wird, wenn es gegen die Elfenbeinküste oder Thailand geht, über „typisch afrikanischen“ und über „klassisch asiatischen“ Fußball schwadroniert. Selbst Profis wie Celia Sasic oder die Bundestrainerin Silvia Neid haben nur rudimentäre Kenntnis vom Fußball auf anderen Kontinenten.

Es bleibt also, ohne dass irgendeiner der Akteure etwas dafür kann, dass die agonale Struktur, die den Sport immer prägt, notwendig nationalistisch ist: Unsere gegen die Anderen, die mal aus Afrika, mal aus Asien und mal aus Amerika kommen.

Wohlgemerkt, das ist keine Argumentation gegen den Frauenfußball, und es ist auch kein Lob der Durchkapitalisierung des Männerfußballs. Es ist nur der Nachweis, dass das, was Karl Marx mit „nationalen Borniertheiten“ und der „zivilisatorischen Tendenz des Kapitals“ beschrieb, auch auf den Frauenfußball zutrifft. Auf den besonders, weil man ihn gut mit dem Männerfußball vergleichen kann, und der ist ja schon ein globales Event.

Fehlen vorn Weltstars

Solange guckt man zwangsläufig Sport aus der nationalen Perspektive. Das trifft nicht nur auf den Frauenfußball zu, es ist auch bei Sportarten der Fall, die (unter medialen und ökonomischen Gesichtspunkten) weniger bedeutend sind: ob Siebenkampf der Leichtathletinnen oder das Keirin-Rennen im Radstadion. Noch stärker ist es bei Teamsportarten, bei denen das identifizierbare Gesicht eines Weltstars fehlt: im Wasserball oder Volleyball etwa.

Und am stärksten geschieht dies in Sportarten, die politisch und kulturell positiv kodiert sind, weil ihnen (zu Recht) das Etikett anhaftet, dass hier größere gesellschaftliche Teilhabe stattfindet: Der Frauenfußball etwa war in der BRD bis 1970 verboten, es bedurfte eines sympathisch rebellischen Geistes, um aus ihm eine akzeptierte Sportart zu machen, die auf hohem Niveau betrieben wird.

In der Sympathie für das DFB-Team schwingt also ein nachvollziehbarer Stolz mit: Ist es nicht auch auch das Ergebnis unserer Kämpfe, dass die DFB-Frauen gerade gerade gut mitspielen? Die Kämpfe für die Teilhabe von Mädchen und Frauen in sogenannten Männerdomänen? Ja, es ist Erfolg und Tücke zugleich.

Es gibt einen Bereich des internationalen Sports, in dem die hier beschriebene Tücke noch stärker wirkt: der Behindertensport mit seinen alle vier Jahre ausgetragenen Paralympics. Hier können selbst besonders wohlmeinende und nationalismuskritisch eingestellte Medien nicht anders als durch die deutsche Brille berichten: Die Vielfalt der Wettbewerbe und die überhaupt nicht mehr zu bewältigende Menge an Sportlernamen, Mannschaftsinformationen oder Sportartdetails lässt gar keine andere Möglichkeit mehr zu, als nur noch den nationalen Aspekt zu erwähnen. Eine Meldung lautet dann so: „Seine dritte Bronzemedaille hat der Berliner X-Sportler Y bei den Paralympics in Z gewonnen.“ Punkt, Ende der Meldung. Wer gewonnen hat, wird gar nicht mehr mitgeteilt, denn es würde hierzulande niemanden interessieren.

Auch für den Behindertensport gilt, dass er politisch-kulturell besonders positiv kodiert ist: Beinah die gesamte Sportgeschichte wurden Menschen mit Handicap daran gehindert, am Sportgeschehen zu partizipieren. Nun endlich dürfen sie, und zwar in einem organisatorischen Rahmen, der den Olympischen Spielen sehr ähnlich ist. Dass das so ist und dass darüber berichtet wird, ist ja in der Tat ein Erfolg. Nur eben: Solange auch dies nicht globalisiert ist, solange es nicht Weltstars gibt, die die bornierten Nationalitäten hinter sich lassen, trägt auch er die Botschaft des Nationalismus in sich.

Ansonsten gilt natürlich: Gehts raus und spielts Fußball!