GEHT’S NOCH?
: Kommt mir nicht mit den Kindern!

Ihnen sind die Argumente ausgegangen? Kein Problem: Kindeswohl geht immer

Krisenkommunikation, Lektion drei. Praxistipp: Wenn Sie argumentativ wirklich, wirklich nicht mehr weiterkommen, dann beteuern Sie einfach, dass man doch bitte an die Kinder denken solle.

Aktuelles Beispiel: die saarländische Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer. Die wurde in einem Interview gefragt, warum sie dagegen sei, dass homosexuelle Paare adoptieren dürfen. Antwort: „Das Wohl der Kinder.“

Oder Baden-Württembergs Innenminister Reinhold Gall. Der wollte noch mal erklären, warum die SPD nun doch für die Vorratsdatenspeicherung ist. „Ich verzichte gern auf vermeintliche Freiheitsrechte, wenn wir einen Kinderschänder überführen“, twitterte er. Dass die Aufklärungsquote bei schwerem sexuellem Kindesmissbrauch schon jetzt hoch ist und selbst die Behörden, die gern Vorratsdatenspeicherung hätten, kaum Zahlen vorlegen können, die die Wirksamkeit belegen – geschenkt.

Das Tolle an diesem kinderleichten rhetorischen Kniff: Nach dem Verweis auf die Kinder ist meist Ruhe. Sie stehen automatisch auf der Seite der Guten. Und jeder, der widerspricht, muss erst mal den Vorwurf abschütteln, den entzückenden, wehrlosen Nachwuchs auf ganz unverantwortliche Weise ins Verderben zu schicken. Plus: Sie erzielen zwar den gleichen Effekt wie Gerhard Schröder mit seinem Basta (Ende der inhaltlichen Auseinandersetzung), wirken aber viel netter.

Das lässt sich beliebig ausweiten. Nächtliche Alkoholverkaufsverbote wie in Baden-Württemberg lassen sich mit der erweiterten Kinderkarte, dem „Jugendwohl“, durchsetzen. Auch denkbar: Ausbau von Autobahnen (bedeutet schließlich weniger Verkehr in der Stadt), Gummibärchenverbot an der Supermarktkasse (Adipositasalarm!) oder jede denkbare Steuerreform (für die Zukunft der Kinder).

In einer Gesellschaft, die immer älter, irritierter und sicherheitsbedürftiger wird, könnte man damit eine ganze Nation zum stoßkantenfreien Smaland umbauen, das jede Abweichung von einer traditionsfamiliären Norm einfach wegkinderwohlt. Rein theoretisch natürlich. MEIKE LAAFF