3.000 ANSCHLÄGE AUF DIE KOALITION (13): OLAF BERNAU SAGTE WIE BREMENS ANTIDISKRIMINIERUNGSPOLITIK AUSSEHEN SOLLTE
: Es fehlt an Beratungskapazitäten

■ 46, arbeitet bei der Antidiskriminierungsstelle ADA (www.ada-bremen.de). Zudem ist er im transnationalen Netzwerk Afrique-Europe-Interact aktiv, insbesondere mit Bauern und Bäuerinnen in Mali, die von Landgrabbing betroffen sind. Seit 1998 lebt er in der Stadtkommune Alla Hopp.

In einem hochgradig erhitzten Schlagabtausch debattierte die Bürgerschaft im September 2011, ob in Bremen eine allgemeine und unabhängige Antidiskriminierungsstelle eingerichtet werden sollte. Der Antrag der Linken wurde seinerzeit von der rot-grünen Mehrheit abgelehnt. Beschlossen wurde allerdings, Diskriminierungsschutz als „Querschnittsaufgabe“ zu verankern. Entsprechend ist Bremen im März 2012 der von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes ins Leben gerufenen „Koalition gegen Diskriminierung“ beigetreten. Zudem hat die Senatskanzlei 2013 die Gründung eines Netzwerks gegen Diskriminierung unterstützt, an dem rund zehn Beratungsstellen aus unterschiedlichen Feldern beteiligt sind.

Kurzum: Der politische Wille ist durchaus vorhanden, doch die Praxis erweist sich im überschuldeten Bremen einmal mehr als ernüchternd.

Beispiel Bürgertelefon: In den Augen des bisherigen Senats kommt diesem beim Diskriminierungsschutz eine zentrale Scharnierfunktion zu. Denn Ratsuchende sollen hier zu den passenden Beratungseinrichtungen gelotst werden. Einziges Manko: Bei mehreren Testanrufen im April und Mai 2015 musste die im DGB-Haus angesiedelte Beratungsstelle „Antidiskriminierung in der Arbeitswelt“ feststellen, dass die meisten Auskünfte unzureichend, teilweise sogar irreführend waren.

Dies hatte jedoch keinesfalls mit den MitarbeiterInnen des Bürgertelefons zu tun. Denn diese agierten äußerst zuvorkommend und engagiert. Offensichtlich wurde vielmehr, dass nicht nur die in der Datenbank hinterlegten Infos mangelhaft sind, auch eine passende Schulung scheint nicht stattgefunden zu haben.

Ganz ähnlich die von der Stadt betreute Webseite zu Antidiskriminierung, die ebenfalls eine Lotsenfunktion wahrnehmen soll. Von 20 Links zu den einzelnen Beratungsstellen funktionierten im Mai gerade mal sechs Stück, zudem sind die meisten Beratungsstellen im Migrationsbereich nur über ein PDF-Dokument erreichbar. Soll also die Rede vom Diskriminierungsschutz als Querschnittsaufgabe mehr als bloßer Budenzauber sein, wäre zumindest dafür sorgen, dass die niedrigschwelligen Maßnahmen funktionieren.

Die Nachwahlrangeleien haben die Programme verflüssigt: Es tauchen Pläne auf, Ideen werden konkretisiert und Vorhaben benannt, von denen vor dem 10. Mai noch gar nicht so recht die Rede war. So wollen die designierten Koalitionäre ihre Profile schärfen. Die Gastkommentar-Serie der taz hilft Grünen und SPD dabei: Hier bündeln AkteurInnen der Zivilgesellschaft ihre Forderungen in Texten von je 3.000 Anschlägen.

■ Heute: Olaf Bernau von der Antidiskriminierungsstelle ADA.

Gleichzeitig gilt aber auch, dass das Bürgertelefon eine Beratungsstelle nicht ersetzen kann: Zum einen, weil viele KlientInnen zunächst einmal grundsätzlichen Reflektionsbedarf haben. So etwas kann in einem kurzen Telefongespräch nicht geklärt werden, zumal wenn andere Sprachen als Deutsch gefragt sind. Zum anderen, weil Antidiskriminierungsberatung kein Selbstläufer ist. Viele Betroffene haben Diskriminierung längst akzeptiert, entsprechend ist die Dunkelziffer nach übereinstimmender ExpertInnen-Meinung enorm.

Erforderlich ist eine allgemeine Antidiskriminierungsstelle, die Menschen durch Öffentlichkeits und Sensibilisierungsarbeit überhaupt erst ermutigt, Unterstützung in Anspruch zu nehmen. Spätestens dann wird sich zeigen, dass Bremen mitnichten genug Beratungskapazitäten hat, wie es noch 2011 in der Bürgerschaftsdebatte hieß.