3.000 ANSCHLÄGE AUF DIE KOALITION (12): INGEBORG MEHSER fordert, Langzeitarbeitslosigkeit durch Umverteilung zu bekämpfen: Arbeit muss fair verteilt werden
■ ist Informationswissenschaftlerin und Coach, Referentin des kirchlichen Dienstes in der Arbeitswelt und Koordinatorin der Bremer Arbeitszeitinitiative, bestehend aus Gewerkschaften, Attac, KDA, KAB und Impulsgeber Zukunft.
Bremen hält den traurigenRekord der höchsten Arbeitslosigkeit und insbesondere der höchsten verfestigten Langzeitarbeitslosigkeit in Deutschland. Die damit verbundenen Sozialausgaben und beschränkten Steuereinnahmen sind der entscheidende Faktor für Bremens Haushaltsnotlage. Für die neue Regierung ist die Lösung dieses Problems die wichtigste Aufgabe ihrer beginnenden Amtszeit.
Bisherige Lösungsansätze blieben praktisch ohne nennenswertes Ergebnis. Probieren wir doch mal etwas Neues: Warum nicht die vorhandene Arbeit einfach umverteilen? Warum nicht die absurde Situation beenden, dass die einen, insbesondere Männer, sich krank arbeiten, während die anderen, insbesondere Frauen, aufgrund von zu wenig oder gar keiner Arbeit nicht leben können und davon krank werden?
Hierzu haben das Bremer Forum für Arbeit, die Gewerkschaften Ver.di und NGG mit Unterstützung der IG Metall und der Arbeitnehmerkammer einen differenzierten Vorschlag ausarbeiten lassen: den Entwurf eines Gesetzes zur Beschäftigungsförderung durch Arbeitsumverteilung (BFAU). Er berücksichtigt bereits gemachte Erfahrungen mit Regelungen zu Arbeitszeitverkürzung, vermeidet aber deren Mängel und Nachteile.
Er sieht ein Recht auf Verringerung der Arbeitszeit vor – mit Rückkehrrecht auf die ursprüngliche Arbeitszeit. Frei werdende Stellen(-anteile) müssen wiederbesetzt werden durch Arbeitslose, fertig ausgebildete Jugendliche oder in Teilzeit Beschäftigte, die mehr arbeiten möchten. Durch die Wiederbesetzungspflicht werden Arbeitsplatzabbau und Verdichtung der Arbeit verhindert. Die Bundesagentur für Arbeit zahlt einen nach Einkommenshöhe gestaffelten Lohnausgleich und Beitrag zur Sozialversicherung. So können sich auch geringer Verdienende eine Arbeitszeitverkürzung leisten und der Beitragsausgleich wirkt der Altersarmut entgegen.
Ein analog konstruierter Tarifvertrag in der Metallindustrie Niedersachsens wurde tatsächlich überwiegend von Beschäftigten aus unteren Lohngruppen, insbesondere Frauen, genutzt, die freigewordenen Stellen mit Arbeitslosen aus dem geringer qualifizierten Bereich besetzt – genau das, was Bremen zum Abbau seiner Langzeitarbeitslosigkeit braucht.
■ Die Nachwahlrangeleien haben die Programme verflüssigt: Es tauchen Pläne auf, Ideen werden konkretisiert und Vorhaben benannt, von denen vor dem 10. Mai noch gar nicht so recht die Rede war. So wollen die designierten Koalitionäre ihre Profile schärfen. Die Gastkommentar-Serie der taz hilft Grünen und SPD dabei: Hier bündeln AkteurInnen der Zivilgesellschaft ihre Forderungen in Texten von je 3.000 Anschlägen.
■ Heute: Ingeborg Mehser, Koordinatorin der „Bremer Arbeitszeitinitiative“
Eine Modellrechnung ergab, dass die Einsparungen an Arbeitslosengeld, Miet- und Heizkosten und die Mehreinnahmen an Steuern und Sozialversicherungsbeiträgen die Ausgaben für den gestaffelten Lohnausgleich um mehr als das Doppelte übersteigen. Die Umsetzung des BFAU würde die weiterhin hohe Arbeitslosigkeit reduzieren, den Bremer Sozialhaushalt spürbar entlasten und zur Arbeitsgesundheit beitragen.
Da es sich um eine bundesgesetzliche Regelung handelt, müsste die neue Landesregierung hierzu eine Bundesratsinitiative starten. Aber auch auf bremischer Ebene könnte sie Arbeitsumverteilung nutzen. Sie könnte zum Beispiel mit dem Gesamtpersonalrat eine Dienstvereinbarung abschließen, die freiwillige Arbeitszeitreduzierungen, versehen mit einem nach Einkommenshöhe gestaffelten Entgeltausgleich, zur Schaffung neuer Stellen beziehungsweise zur Aufstockung von Stellen mit geringer Stundenzahl nutzt.
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