: Einhorn neben Plattenbau
JUGEND Die Galerie Mitte zeigt unter dem Titel „Was geht“ Ergebnisse und Eindrücke von Kunstprojekten Jugendlicher, die öffentlichen Raum inszenieren und gestalten
VON NELE WAGNER
Baumelnd hängen an Schnüren Texte und Fotos in der Raummitte von der Decke, streifen den Kopf, berühren die Schulter. Die BesucherInnen entdecken das Gesicht einer Schaufensterpuppe, einen Zeitungsartikel, einen jungen Mann, der vor gelbem Hintergrund „mehr Schulplätze“ fordert. Der niedrige Tisch unter den baumelnden Zetteln ist bedeckt mit Kugelschreibern und Postkarten – übrigens schon bebriefmarkt – und bebildert mit Fotomotiven der Ausstellung in Mattdruck. Denn die Fotografien, die hier baumeln und als Postkartenmotive den Tisch bedecken, finden sich in Groß an den Wänden wieder. Ach so: Und in der linken Ecke hängt etwas, das von Weitem aussieht wie ein rosa Frottee-Bademantel und sich aus der Nähe als Einhornkostüm herausstellt.
Dies alles sind Ergebnisse und Eindrücke der Ausstellung „Was geht – Jugendkunstprojekte 14/15“, die derzeit in der Galerie Mitte im Kubo zu sehen ist. Vier verschiedene Projekte, die verbindet, dass sie vom Kubo geleitet oder begleitet wurden, fanden in unterschiedlicher Dauer – zwischen drei Tagen und drei Monaten – mit TeilnehmerInnen im Alter von 12 bis 22 Jahren statt. Sie entstanden in verschiedenen Kooperationen zwischen Kubo, Diakonie Bremen, Creaclic e. V., der Cluster Sozialagentur, Treibwerk und den Jungen Akteuren. Mit Schauspiel, Tanz, Fotografie, Kochen, Urban Art und Musik näherten sich die Gruppen mit künstlerischer und pädagogischer Begleitung den Themen Mensch-Sein, Zuhause, Vielfalt und Bürgerschaftswahl.
Bemerkenswert ist, dass alle Projekte – obwohl sie unabhängig voneinander stattfanden – öffentlichen Raum gestalten, seine Wirkung wahrnehmen und in ihm wirken. Eine besondere Qualität ist, dass junge Menschen aus unterschiedlichen Stadtteilen und mit verschiedenen biografischen und sozialen Hintergründen die Möglichkeit hatten, sich kreativ öffentlich zu inszenieren. Dafür bedienten sie sich vielfältiger künstlerischer Genres, Präsentationsorte und -formen. Im Projekt „Allmende“ gestalteten Jugendliche Stadträume in Bremen und Hildesheim mit alternativen Kunstformen, zum Beispiel mit Graffiti am Güterbahnhof.
Die Theateraufführungen des Projekts „Homezone“ im Juli 2014 wurden als eine Reise durch Gröpelingen gestaltet. Im Rahmen dieses Projekts entstanden Fotografien, in denen der öffentliche Raum mit privaten Handlungen belebt und bewohnt wird. Eine Akteurin liegt mit Teddybär im Arm auf einer großen Mauer, eine andere Mauer in Gröpelingen wird auf einem weiteren Foto bunt tapeziert.
Die professionelle Begleitung war nicht nur in pädagogischer Hinsicht lohnend. Die Fotografien aller Projekte – ob professionell dokumentiert oder professionell begleitet – sind ausdrucksstark und qualitativ hochwertig. Die selbst gestalteten Wahlplakate von Jugendlichen, die teils schon lange in Bremen leben, teils als Flüchtlinge hierher kamen, wurden im Rahmen des Projektes „Ich bin die Wahl“ im Mai 2015 entworfen und umgesetzt. Mit leuchtenden und kräftigen Farben und deutlichen Forderungen zeigen die Jugendlichen in diesen Plakaten, wofür sie einstehen. Dabei wirken sie aufrichtig, modern und humorvoll. Alle TeilnehmerInnen konnten sich Raum nehmen, Platz schaffen für sich und ihre Ideen, Ansichten und Vorstellungen – die Ergebnisse sind eigen und kraftvoll. Die akkurate und symmetrische Ausrichtung und Hängung der Fotografien, die im Projekt „Der Mensch im Blick“, einem Workshop für AbsolventInnen eines Freiwilligen Sozialen Jahres, entstanden, tragen zu einer klaren und unprätentiösen Annäherung der Beteiligten an das Thema bei. Groß, grau und glasig wirken die Bürohäuser und der Plattenbau auf diesen Fotografien. Fenster neben Fenster, Balkon neben Balkon. Erst einmal schwer zugänglich, erschließen sich die Fotografien mit dem thematischen Schwerpunkt im Hinterkopf noch einmal anders: Brennt da noch Licht? Brütet da noch jemand am Schreibtisch, während alle anderen schon zu Hause sind? Oder ist das die Putzdame? Vielleicht hat auch einfach jemand vergessen, das Licht zu löschen.
■ bis 26. Juni, Donnerstag bis Sonntag, 15 bis 18 Uhr, Galerie Mitte im Kubo, Am Paulskloster 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen