Virtualität als Falle

INTERNET Solange Bied-Charretons Debütroman handelt von der Kluft zwischen Netz und Realität. Jetzt liest sie in Hamburg

Eigentlich wollte Solange Bied-Charreton kein Buch mit moralischem Zeigefinger schreiben. Aber irgendwie ist „Enjoy“ es dann doch geworden. Vom Leben zwischen zwei Welten – der virtuellen und der realen – handelt ihr Debütroman, der 2012 in Frankreich erschien und für seine profunde Kenntnis jugendlicher Befindlichkeit gepriesen wurde.

Dabei sei sie gar keine Expertin für Jugend, sagt die 32-jährige Autorin, Lehrerin, Bloggerin und Grafikdesignerin, die jetzt in Hamburg liest: „Ich erinnere mich nur, dass ich selbst mal 18 war.“ Aber in die Falle virtuellen Lebens zu tappen, davor wolle sie Jugendliche durchaus warnen.

Wie sie das macht? Indem sie eine Geschichte spinnt, in der beide Welten aufeinandertreffen. Da ist Charles – jung, erster Job und in der Freizeit im sozialen Netzwerk „ShowYou“ aktiv, das die Jagd nach dem besten Bild eines Erlebnisses zur Maxime erhob. Wer sein wöchentliches Foto nicht einstellt, fliegt raus. Charles hinterfragt das alles nicht.

Auf der anderen Seite steht Anne-Laure, eine junge Frau, die „ShowYou“ ablehnt, in einer Rockband spielt und durch das Pariser Nachleben tourt. Charles lernt sie kennen, ist irritiert, dass sie nirgends online ist und begleitet sie immer faszinierter in ihre reale Welt.

Ganz wie von selbst entwickeln sich dabei Reflexionen über die abgründige Einsamkeit der Digital Natives, über den Unterschied zwischen realen und virtuellen Freunden, zwischen Schein und Sein. Und irgendwann verlangt die Autorin, das war abzusehen, ihrem Protagonisten Charles eine Entscheidung ab. Denn um real und virtuell zu bestehen, um intensiv zu erleben und parallel das beste Foto davon zu machen: Dafür reicht die Zeit tatsächlich nicht.

Abgesehen davon verändert es die Qualität des Erlebens ganz erheblich, wenn es nur geschieht, um es abzulichten. Oder um davon erzählen zu können. Aber das ist wieder eine ganz andere Geschichte.  PS

■ Mi, 24. 6., 20 Uhr, Buchhandlung Christiansen, Bahrenfelder Straße 79