DIE PLAKATIVEN BOTSCHAFTEN DER GROSSSTADT
: „Wir sind Pizza“

VON HELMUT HÖGE

Seitdem ich mich alphabetisiert habe, bin ich damit geschlagen, dass ich jede Reklame lesen muss. Immerhin habe ich dabei entdeckt, dass einige Dispatcher von Firmen, die Werbeflächen vergeben, darauf in Serie neue (witzige) Bedeutungen kreieren. So ließen sie z. B. neben das Plakat einer privaten Bildungseinrichtung, die „Mit Weiterbildung zum Erfolg“ wirbt, ein Antiaidsplakat mit dem Spruch „Ich machs mit Latex“ kleben (mit Pattex?).

Neben einem U-Bahn-Plakat mit dem Hinweis „Zum Stasi-Museum 100 Meter“ platzierten sie das Werbeplakat einer Sprachschule mit dem Spruch: „We Have Ways of Making You Talk“ (Water-Boarding?). Der Kreuzberger Prinzessinnengarten hat einen Dauerauftrag. Er wirbt seit Jahr und Tag auf Plakaten mit dem Spruch: „Wir lernen vom Gemüse“. Daneben hängt mitunter der Spruch „So studiert man heute“ von einer Privatuni, manchmal aber auch: „Ich bin doch nicht blöd!“ von einem Elektronikhändler.

Helden des Alltags

Um derlei Subversionen zu verhindern, hat man nun angefangen, einfach auf allen Plakaten bzw. Screens dieselbe Frohbotschaft zu verkünden, im Bahnhof Friedrichstraße etwa: „Alle 30 Sekunden verlieben sich zwei auf Parship“. Oder die Werbung der völlig verlogenen Privatpostfirma „PIN“, deren Zusteller gehetzt und schlecht bezahlt werden, aber auf den Plakaten ihrer Firma kross als „Helden des Alltags“ präsentiert werden.

Derzeit hängen auch überall Plakate mit dem Spruch: „Wir sind Pizza. Das Original“. Das sind Newcomer mit der Bombenidee, Pizza und Internet zu verbinden, einschließlich App, Google-Support und allen Schikanen. Ein moderner Swingerclub in Karlshorst versichert dagegen seinen potenziellen Kunden ganz altmodisch: „Wir haben Verständnis für Toleranz!“ Und eine Bäckereikette sucht statt Verkäufern „Brotsortenberater“.

Mitunter kommt das Serielle auch mit zeitlicher Verzögerung ins Spiel: „Aus Liebe zum Leben“ dichteten die Johanniter. Der VW-Konzern konterte mit: „Aus Liebe zum Automobil“.

Zu Beginn der Jagdsaison fiel den Herausgebern des Männer-Fleisch-Magazins Beef zudem der Spruch „Das Vorspiel ist vorbei“ ein: das fanden sie lustig. Neben Witzen gebiert die Kreativhauptstadt auch laufend neue Arbeitsplätze – z. B. die Jungs und Mädels von ShopWings.de, die hofften, mit diesem Plakatspruch einen echten Durchbruch im Dienstleistungssektor zu erzielen: „Nur Deppen schleppen selber. Überlass das Einkaufen den Profis“, lautete ihre Botschaft. Ich kenne zwei solche Profis, die für das KdW „schleppten“, d. h. den Kunden die Waren nach Hause fuhren. Das waren meistens gutbetuchte Alkoholiker, die in Wannsee, Zehlendorf oder Dahlem wohnten. Oft mussten die beiden Profis ihnen eine Kiste mit Wasser bringen. Die Anlieferung kostete doppelt so viel wie die Ware. Noch grotesker fanden die beiden aber die Wohnungen der Reichen: Nicht wenige waren üble Messis. Ein Ehepaar wohnte ganz in Gold. Sie wollten dem „Profi“ gleich einen Vertreterjob andrehen.

Überall Platz zum Denken

Am peinigendsten ist die Stadtwerbung: „Typisch Berlin: überall Platz zum Denken“. Dazu sieht man ein dynamisches junges Pärchen, wie es sich mit aufgeschlagenem Apple-Laptop „Projekte“ ausdenkt. An einem Umspannkasten hatte die Stadtwerbung jahrelang ein Foto von einem jungen Mädchen anbringen lassen – mit dem Spruch „Berlin, die Stadt, die sich um ihre Menschen kümmert“. Neulich sagte sich ein Autofahrer „genug gelogen“ und fuhr den Kasten um.