Schlimmer Verdacht in der Steinsetzer Straße

KINDESWOHL In einer Bremer Einrichtung für unbegleitete junge Flüchtlinge soll es zu einem sexuellen Übergriff unter Bewohnern gekommen sein. Nachts sind dort vier Sicherheitsleute für bis zu 200 Jugendliche zuständig

In der Bremer Erstaufnahmeeinrichtung für unbegleitete minderjährige Jugendliche soll es zu einem sexuellen Übergriff gegen einen 15-jährigen Jungen gekommen sein. Die Staatsanwaltschaft bestätigte gestern, dass sie wegen des Verdachts der sexuellen Nötigung gegen einen 17-Jährigen ermittelt, der ebenfalls in der Erstaufnahme in der Steinsetzer Straße wohnte. Die Tat soll sich in der Nacht zu Samstag ereignet haben.

Am vergangenen Donnerstag hatte Bremens Sozialsenatorin Anja Stahmann (Grüne) erklärt, dass die Einrichtung für eine Grundsanierung komplett geräumt werden solle. Das Gesundheitsamt hatte wegen des Befalls von Bettwanzen und dem Auftreten von Hautkrankheiten Alarm geschlagen (taz berichtete). Unter anderem der Bremer Flüchtlingsrat hatte die Zustände immer wieder kritisiert.Wann das Gebäude geräumt sein wird, ist unklar. Ein Teil der Jugendlichen soll in einem Zelt unterkommen.

Mit 200 Jugendlichen ist die Unterkunft deutlich überfüllt – ausgelegt ist sie für 170. Bis zu 60 Minderjährige müssen im Souterrain schlafen, teilweise auf Matratzen, die aneinandergereiht auf dem Boden liegen. Tische und Stühle fehlen, die sanitären Anlagen sind verdreckt.

Laut Heidmarie Rose, Leiterin der Obersten Landesjugendbehörde, sind in dem Gebäude tagsüber neben der Heimleiterin und der pädagogischen Leitung zwei Sozialpädagogen anwesend. Dazu kämen zwei Hausmeister und das Angebot der ambulanten Betreuung, bei der ein Betreuer für sechs Jugendliche da sein soll.

Nach 22 Uhr allerdings sind die 200 Jugendlichen in der mehrstöckigen Einrichtung alleine mit vier Sicherheitsleuten – und auch diese sollen nach Informationen der taz nicht immer vollzählig anwesend sein.

Demnach war der 15-Jährige vom Souterrain in ein Acht-Bett-Zimmer in eines der oberen Stockwerke verlegt worden, wo es dann zu dem Übergriff gekommen sein soll. Der Bremer Weser Report berichtet sogar von mehreren Vergewaltigungen, an denen mindestens zwei Täter beteiligt gewesen sein sollen. Die Staatsanwaltschaft erklärte, es gebe keine Hinweise auf mehr als einen Täter. „Ob es zu einer Vergewaltigung kam, ist noch nicht klar“, sagte ein Sprecher.

Sozialsenatorin Stahmann sprach gestern von ursprünglich zwei Beschuldigten, die mittlerweile in Jugendhilfeeinrichtungen außerhalb Bremens untergebracht worden seien. Auch der Junge, der die Vorwürfe erhoben habe, sei in eine andere Einrichtung verlegt worden. „Es galt Schutzmaßnahmen zu ergreifen“, so Stahmann. Der Vorfall hätte auch in anderen Einrichtungen passieren können. „Wir kümmern uns darum und machen die Augen nicht zu.“

Am Dienstag erst hatte der Bremer Kinderschutzbund gefordert, die Betreuung zu verbessern: „Über Wochen sind viele junge Flüchtlinge nach ihrer Ankunft in Massenunterkünften weitgehend sich selbst überlassen, haben nichts zu tun, können nichts lernen“, hieß es in einer Erklärung. Manche Jugendliche verbleiben über ein halbes Jahr in der Einrichtung. Das sei „entschieden zu lang“.  JPB