AUF DEM LANDE
: Die Hexe

Wir dürfen wir uns nicht bedanken. Dann ist der Zauber kaputt

Eigentlich gehe ich schon seit Jahren zu ihr. Immer wieder, wenn eines der Kinder irgendwo Warzen hatte, schaute ich eine Weile zu, wie sie größer wurden. Und nicht kleiner. Und dann reifte der Entschluss: Wir fahren wieder zur Hexe. Hexe darf man sie ja nicht nennen. Also ich denke, das würde sie blöd finden. Vielleicht fänd sie es auch lustig.

Ihr Mann, schon seit Jahren Rentner, sitzt bei unserer Ankunft immer im Vorraum mit den kitschigen Porzellantierchen und löst Rätsel. Im Wohnzimmer, dekoriert mit großen spanischen Fächern an den Wänden und Plüschtieren auf dem 50er-Jahre-Sofa, läuft der riesige Flachbildschirm. Wir dürfen uns in einen der Sessel setzen, neben den großen Porzellanhund, und Frau S. kniet vor uns nieder. Auf der Anrichte liegen immer die winzigen Papierknäulchen, mit Bindfaden umwickelt, für jeden Warzenpatienten eins. Damit kreist sie dann über den Warzen und malt dabei Achten. Angeblich hat sie ja verschiedene Sprüche für die Warzen, die Gürtelrosen und die anderen Hautkrankheiten. Aber man sieht sie nicht sprechen. Sie denkt sie wohl nur.

Ein Koch aus dem Dorf, so erzählt sie, hatte mal eine Gürtelrose, die vom Bauch aus nach unten ging. Zwischen den Beinen durch. „Und dann hat er sich ausgezogen und Sie haben dann untenrum …?“, frage ich elektrisiert und male dabei Achten in die Luft. „Natürlich. Das macht mir nichts aus. Da sehe ich gar nix und konzentriere mich nur.“ Mehr sagt sie nicht und wendet sich der nächsten Warze zu. Wenn wir gehen, dürfen wir uns nicht bedanken. Dann ist der Zauber kaputt, sagt sie.

Der letzte Termin ist schon wieder ein paar Wochen her. Die Warze ist immer noch da. Aber so war es die letzten Male auch. Irgendwann waren sie weg. Beim Gehen schaue ich mir den Vorgarten an. Zwischen den Blumen und Sträuchern sitzen dort kleine nackte Puppen auf Gipspferdchen. ELKE ECKERT