Drei Jahre Haft

JUSTIZ Ein halbes Jahr nach dem Tod der Studentin Tugce Albayrak wurde am Dienstag das Urteil verkündet

„Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens“

DER ANGEKLAGTE SANEL M.

AUS DARMSTADT ALINA LEIMBACH

Die Kameras der Journalisten stellen wieder und wieder scharf auf den Stuhl, der noch leer ist. Probieren das Licht, ob ihre Objektive den richtigen Winkel haben, um den abzulichten, der zum „Monster“ und „Komaschläger“ hochstilisiert wurde. Im Publikum schauen die einen mit Tränen in den Augen und harten Gesichtern auf andere mit Tränen in den Augen. Tugce Albayraks Familie trifft auf Sanel M.s Angehörige.

Der Moment ist gekommen, indem zumindest strafrechtlich geklärt wird, wie viel Schuld der gerade erst 18-Jährige wirklich in der Tatnacht des 14. Novembers 2014 auf dem Parkplatz des Schnellrestaurants in Offenbach auf sich geladen hat.

Sanel M. hatte der 22-jährigen Gelnhäuser Lehramtsstudentin im Morgengrauen des 15. November 2014 vor einem Offenbacher Schnellrestaurant so heftig gegen den Kopf geschlagen, dass sie stürzte und ins Koma fiel. Am 28. November, ihrem 23. Geburtstag, ließen ihre Eltern die lebenserhaltenden Maschinen abstellen. Der Tod der jungen Frau hatte bundesweit Entsetzen ausgelöst. Am gestrigen Dienstag wurde das Urteil am Landgericht Darmstadt verkündet.

Sanel M. ist an diesem Tag in Pink gekommen. Eine Provokation? Auch in der Tatnacht, als M. der damals 22-jährigen Lehramtsstudentin Tugce Albayrak einen Schlag verpasste, in dessen Folge sie starb, trug er ein pinkfarbenes Hemd. Seine Freunde bezeichnen ihn als schüchtern und introvertiert. „Er wollte uns immer beschützen“, sagen sie.

Der Angeklagte gestand zu Beginn des Prozesses die Tat, beteuerte aber, niemals mit Albayraks Tod gerechnet zu haben. In seinem Schlusswort vor dem Urteil sagte der 18-Jährige: „Der Schlag war der schlimmste Fehler meines Lebens. Ich kann nur sagen, dass es mir leidtut.“

Es sollte ein schweres Urteil für Richter Jens Aßling werden. Er selbst hob am Dienstag hervor, wie aufgeladen der Prozess von Anbeginn an gewesen sei und dass es zahlreiche „extreme Vorverurteilungen“ gegeben habe. Die haben er und seine Kammer versuchen müssen auszublenden. Das „versuchen“ betont er. Auch die Zeugen hätten sich „in ihren Aussagen deutlich von der medialen Berichterstattung beeinflussen lassen“, so der Richter in Darmstadt. Zum entscheidenden Beweismittel im Prozess wurden daher die verpixelten Videos der Überwachungskameras der Nacht.

Die Verteidigung hatte die Tat so dargestellt, dass Sanel M. aus der Provokation heraus die Sicherungen durchgebrannt seien und er einfach zugeschlagen habe. Die Kammer folgte dem jedoch nicht: Sanel M. habe, so sehe man es auf dem Video der Nacht sichtbar, von unten, hinten weit ausgeholt. „Das war keine lockere Ohrfeige, sondern ein harter Schlag“, urteilte der leitende Richter: „Wer so heftig zuschlägt, will die Körperverletzung, weiß, dass er damit jemanden, der ihm auch noch körperlich unterlegen ist, umhauen kann. Dass derjenige auch fallen und auf den Kopf aufschlagen kann.“ Auch sei sein Verhalten in den Minuten vor dem verheerenden Schlag bereits deutlich aggressiv gewesen. Seine Freunde hätten ihn mit aller Macht zurückhalten müssen.

Mit seinem Urteil von drei Jahren Jugendstrafe blieb das Gericht nur leicht unter der Forderung der Staatsanwaltschaft. Diese hatte für drei Jahre und drei Monate Jugendstrafe plädiert. Die Verteidigung hatte eine Bewährungsstrafe beantragt.

Als das Urteil verkündet wird, bleibt M. ohne große äußere Regung. Aber das Gericht rechnet ihm sein Geständnis zu Beginn und auch seine Entschuldigung bei der Bekanntgabe der Plädoyers als glaubwürdig an. „Er benötigt die drei Jahre Jugendarrest, um sein Verhalten hoffentlich nachhaltig zu ändern“, sagte Aßling.

Auch die Eltern der ums Leben gekommenen Tugce Albayrak sitzen wie versteinert da. Der Anwalt der Familie, Macit Karaahmetoglu, erklärt, dass die Familie erleichtert sei, dass der Prozess nun zu Ende gegangen sei. Da der Richter zudem nur knapp unter dem von der Staatsanwaltschaft geforderten Strafmaß blieb, sieht Karaahmetoglu in dem Urteil eine klare Sprache gesprochen.

Der Großteil der Familie verlässt jedoch bereits nach der Strafmaßbekanntgabe den Saal, ohne die Begründung abzuwarten. Sie sind sauer und bestürzt, dass es nur drei Jahre geworden sind. Die Verteidigung kündigte derweil an, in Revision zu gehen.

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