„Das Projekt einer politischen Elite“

DEMONSTRATION Am Samstag findet die Demonstration „Europa.Anders.Machen“ statt. Immigranten und Deutschen ziehen dabei an einem Strang – denn sie haben die gleichen Probleme. Ein Gespräch mit zwei Aktivistinnen über Europa, die Krise – und Arbeit

■ Zu der Demonstration „Europa.Anders.Machen – demokratisch, solidarisch, grenzenlos“ rufen unter anderem die Linkspartei, Attac Deutschland, das Blockupy-Bündnis und eine lange Liste linker Gruppen sowie auch Einzelpersonen auf.

■ Los geht es am Samstag um 13 Uhr auf dem Oranienplatz in Kreuzberg, die Route führt anschließend am Springer-Gebäude vorbei bis zum Brandenburger Tor. Dort findet im Anschluss bis in den Abend hinein eine Kundgebung statt, auf der verschiedene Bands spielen sollen. (mgu)

INTERVIEW MALENE GÜRGEN

taz: Frau García Gómez, Frau Eberle, am Samstag soll in Berlin eine Großdemonstration unter dem Titel „Europa.Anders.Machen“ stattfinden. Was finden Sie denn so schlecht an dem Europa, das wir gerade erleben?

Hannah Eberle: Europa, wie wir es gerade erleben, ist das Projekt einer politischen Elite. An den Außengrenzen sterben Tausende von Menschen. Gleichzeitig erleben wir, wie die griechische Regierung von den europäischen Institutionen immer weiter erpresst wird, die demokratische Entscheidung der griechischen Bevölkerung wird missachtet. Auch hier in Deutschland findet immer weiter eine konsequenten Verteilung von Geldern von unten nach oben statt. Wir nehmen zwei oder drei Jobs an, um zu überleben und unsere Miete bezahlen zu können.

Naiara García Gómez: Für uns als Immigranten aus Spanien ist klar, dass im heutigen Europa nicht alle die gleichen Chancen haben. Viele Migrantinnen und Migranten erleben Ausbeutung und schlechte Arbeitsbedingungen, und vielen Deutschen wird gesagt, dass sie sich über ihre ebenfalls oft schlechten Arbeitsverhältnisse nicht beschweren dürfen, weil sie sonst ihren Arbeitsplatz verlieren. Deshalb haben beide – die Immigranten und die Deutschen – das gleiche Problem. Sie leiden unter der gleichen Situation. Aus diesem Grund ist es wichtig, dass wir uns gemeinsam mit Deutschen organisieren und deshalb sind wir auch gemeinsam am Samstag auf der Demo.

Warum wählen Sie trotz dieser vielen Kritikpunkte dennoch Europa als Bezugspunkt?

Eberle: Wir leben hier in Europa, und das ist Grund genug, hier zu beginnen, das Schweigen und die unsägliche Propaganda der Alternativlosigkeit zu durchbrechen. Wenn unsere Nachbarinnen und Nachbarn zwangsgeräumt werden, wenn Freunde abgeschoben werden, wenn ein Drittel der Menschen unserer Generation in Spanien und Griechenland arbeitslos ist, dann ist das der Grund zu beginnen, ein anderes Europa zu erkämpfen. Wir wollen Europa nicht denen überlassen, die national argumentieren, die Zäune aufbauen und Armut organisieren.

■ 25, kommt aus Barcelona und arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft an der TU Berlin. Sie ist Teil der Gruppe „15M Berlin“, in der sich spanische MigrantInnen in Berlin organisieren.

García Gómez: Außerdem sind die Verantwortlichen für die Krise europäische Akteure, also die europäischen Regierungen, der europäische Finanzmarkt und die europäischen kapitalistischen Eliten. Sie sind es, die die Austeritätspolitik diktieren.

Viele der Themen, die Sie ansprechen, standen auch schon bei den diesjährigen Blockupy-Aktionen in Frankfurt im Mittelpunkt. Soll diese Demonstration ein Blockupy 2.0 werden?

Eberle: Blockupy ruft neben zahlreichen Gruppen und Einzelpersonen aus der Kunst- und Kulturszene, aus Politik und sozialen Bewegungen zu der Demonstration auf. Besonders freue ich mich, dass Ulrich Wilken, der Anmelder der Demonstration in Frankfurt, auch diese Demo anmeldet. Die Demonstration wird bunt und entschlossen, Blockupy wird sichtbar sein – Blockupy 2.0 wird aber zu einem anderen Zeitpunkt kommen.

Wen erwarten Sie denn am Samstag alles in Berlin?

■ 24, studiert Bildungswissenschaften in Berlin. Sie ist organisiert bei der Interventionistischen Linken und Sprecherin des Blockupy-Bündnisses.

Eberle: Wir erwarte alle, die sich umschauen, empört, aber auch interessiert an politischen Alternativen. Alle, die Flüchtlinge willkommen heißen und der Austerität eine Absage erteilen, die nicht länger unsichtbar sein wollen – die Widerstand gegen die Normalisierung des Krisenregimes leisten. Wir machen Politik auf der Straße.

Sie organisieren auf der Demonstration auch einen Block unter dem Titel „We are the crisis“. Aber kann denn diese Parole im Krisengewinnerland Deutschland überhaupt funktionieren?

García Gómez: Ja. Deutschland trifft viele politische Entscheidungen, und wir wollen das hervorheben. Wir sind doch die, die unter der Krise leiden, viele von uns wohnen hier in Deutschland. Aber wir werden auch die Krise der Regierung sein. Die Krise der kapitalistischen Eliten und des Finanzmarkts. Wir sind uns über die Schuldigen der Krise im Klaren. Jetzt heißt es: die Leute von unten gegen die Leute von oben.