ZITTRIGE HÄNDE: The Burgane
Zu Besuch in Berlin habe ich bei einem Freund übernachtet und ziehe am nächsten Morgen los, um mein Gepäck aus einem Schließfach am Ostbahnhof zu holen. Auf dem Rückweg verlaufe ich mich. Als ich die Marchlewskistraße endlich gefunden habe, bemerke ich es: Ich habe die Hausnummer vergessen. Und mein Handy. Außerdem habe ich mir den Hauseingang nicht eingeprägt. Ungünstig.
Weil ich ich die Nacht zuvor aus war, mache ich wohl einen etwas verwahrlosten Eindruck. Aber den Schlüssel habe ich. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die ganze Straße abzuklappern und die Schlösser der Hauseingänge durchzuprobieren. Also bleibe ich kurz stehen und plane mein Vorgehen. Ich merke, wie ich angestarrt werde. „Is mir egaal“. Ich habe einen Ohrwurm von einem Youtube-Video.
Ich entscheide mich, zuerst die rechte Straßenseite zu probieren. In der Mitte liegt ein Polizeipräsidium. Ungünstig. „Is mir egaal“. Das erste Schlüsselloch passt nicht. Das zweite scheint zu passen. Doch dann klemmt der Schlüssel. Er lässt sich weder weiter reinschieben noch herausziehen. Ich habe zittrige Hände. Schließlich schaffe ich es, den Schlüssel herauszuziehen.
Jemand fragt hinter mir: „Can you tell me where the Burgane is?“. Ich drehe mich um. „Pardon me?“ „The Burgane, the famous club“ „The Berghain! I’m not sure but walk till the end of this street, then turn left and ask somebody else.“ Nachdem ich eine Straßenseite durchhabe, wechsel ich auf die andere. Die Sonne brennt runter. Es wird heiß. „Is mir egaal!“ Mein Erfolg wird nicht größer. Ich schwitze. Die Leute schauen mich an mit einer Mischung aus Angst, Ekel und Mitleid. Ich versuche zu lächeln. Ein Zettel an einem Mülleimer fällt mir ins Auge: „In deiner Gegend bedeutet ein Lächeln keine Freundlichkeit, sondern den Beginn einer handfesten Geisteskrankheit.“ Is mir egaal.
TOBIAS MAIER
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