3.000 ANSCHLÄGE AUF DIE KOALITION (5): DANIEL SCHOLTEN ERKLÄRT, WARUM ES KEINE FLÜCHTLINGSPOLITIK GEBEN SOLLTE
: Beratung darf kein Bonus sein

■ 30, ist Diplom-Technomathematiker und zurzeit arbeitslos. Er engagiert sich seit fünf Jahren bei der Flüchtlingsinitiative Bremen. Diese bietet unabhängige Beratung für Flüchtlinge mit und ohne Papieren an, hilft bei Problemen mit der Sozial- oder Ausländerbehörde und begleitet Menschen zu Anhörungen in Asylverfahren.

Bisher bedeutet „Flüchtlingspolitik“ die Entrechtung, Ausgrenzung und Diskriminierung flüchtender Menschen durch Sondergesetze und ihre Abwehr mit fast allen Mitteln, einschließlich militärischen. Diese Sonderstellung folgt einer rassistischen Logik und zieht sich durch die Politik von der kommunalen und Landesebene bis zur EU. In der „Flüchtlingspolitik“ wäre schon viel erreicht, wenn diese rassistische Sonderstellung beendet würde, wenn wir stattdessen von Wohnungs- und Arbeitspolitik sprechen würden – und damit alle gemeint wären.

Die Mindestfunktion jeder Regierung ist es, Grundrechte sicherzustellen. Nun wurde am Donnerstag bekannt, dass die Zentrale Aufnahmestelle in der Steinsetzer Straße kurzfristig geschlossen und renoviert werden soll. Die unhaltbaren Lebensbedingungen dort werden allerdings seit Jahren kritisiert. Grundrechte stehen allen Menschen zu, nicht nur Passdeutschen oder sonstwie selegierten Gruppen. Um das zu gewährleisten, muss sich in Bremen noch wesentlich mehr ändern: Minderjährige Flüchtlinge müssen ausnahmslos Zugang zu einem Clearingverfahren haben. Sie müssen innerhalb kurzer Zeit einen Vormund erhalten, der qualifiziert und erreichbar ist. Sie haben Anspruch auf eine angemessene Unterkunft und ausreichende Betreuung. All das ist bereits im Rahmen der allgemeinen Jugendhilfe gesetzlich vorgeschrieben, wird aber bisher nicht umgesetzt. Über 100 junge Flüchtlinge leben stattdessen in einer Unterkunft, von der nicht einmal die Träger behaupten, sie genüge den Standards.

Für erwachsene Asylsuchende und ihre Kinder kalkuliert Bremen zirka sieben Quadratmeter Wohnfläche pro Person, obwohl die Landesverfassung allen BewohnerInnen Bremens angemessenen Wohnraum zusichert. Oft haben die Unterkünfte keine Küche, sodass nicht einmal über die eigene Ernährung entschieden werden kann. Es müssten aber auch hier – und selbstverständlich – die allgemeinen Standards des sozialen Wohnungsbaus gelten. Die Behörden treffen existenzielle Entscheidungen, etwa über Abschiebungen, Arbeits- oder Umzugsverbote. Daraus ergibt sich eine Beratungs- und Übersetzungspflicht auf der Behörde, die endlich umgesetzt werden muss. Wer nicht auf Deutsch kommunizieren kann, wird in Bremen regelmäßig abgewiesen, also rechtlos gestellt: Auch das darf nicht mehr passieren.

Darüber hinaus braucht es unabhängige, bezahlte und qualifizierte Beratungsstellen: Beratung darf nicht verzichtbarer Bonus sein, der in schwankender Qualität und Quantität von Freiwilligen oder gar als Leistungsnachweis im Studium erbracht wird.

■ Die Nachwahlrangeleien haben die Programme verflüssigt: Es tauchen Pläne auf, Ideen werden konkretisiert und Vorhaben benannt, von denen vor dem 10. Mai noch gar nicht so recht die Rede war. So wollen die designierten Koalitionspartner ihre Profile schärfen infolge ihrer Stimmverluste.

■ Die Gastkommentar-Serie der taz hilft Grünen und SPD dabei: Hier bündeln AkteurInnen der Zivilgesellschaft ihre Forderungen an die neue Regierung in Texten von je 3.000 Anschlägen.

■ Heute: Daniel Scholten von der Flüchtlingsinitiative

Als weißer Aktivist Forderungen an eine weiße Regierung zu richten, wird nicht reichen: „Flüchtlingspolitik“ lässt sich nicht delegieren. Was zum Thema Geflüchtete von der Regierung trotzdem gefordert werden muss, ganz konkret, das finden Sie letztlich am besten selber heraus – im Gespräch mit Geflüchteten, zum Beispiel bei Ihrer nächsten Begleitung zur Ausländerbehörde. Wie Sie dorthin kommen, erfahren Sie beispielsweise von der Begleitungsgruppe Acompa auf http://acompabremen.blogsport.de.