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Archiv-Artikel

Die subversive Jogginghose

KUNST In der Ausstellung „Dazwischentreten“ arbeiten sich die NutzerInnen des Künstlerhauses an ihren Produktionsbedingungen ab. Das ist manchmal allzu trivial

Am Ende hat sich jeder, der hier ausstellt, seinen eigenen White Cube geschaffen

VON JAN ZIER

Manchmal ist es Kunst – und du merkst es gar nicht. Dann ist es besonders subversiv. Oder banal.

Da ist zum Beispiel die Sache mit dem Jogginghosen-Laden. Auf einem Tisch, irgendwo im Künstlerhaus am Deich, liegen ein paar graue Jogginghosen, in Einheitsgröße, mit grüner Palmenapplikation, fein säuberlich auf einem Tisch aufgereiht. Wie man das halt so macht in solchen Läden, heutzutage. „Life Sport“ heißt diese „Raumintervention“, wie sie das nennen. Es ist die Filiale eines echten Ladens in Athen, und: Ja, man kann diese Hosen auch kaufen – für 30 Euro.

Neben diesen – soll man sie Multiples nennen? – läuft ein Film; es ist eines dieser Künstlervideos, die nicht gefällig sein wollen, etwas willkürlich wirken, ein wenig nichtssagend sind, dafür konzeptionell umso aufgeladener. Zu sehen sind: Menschen, die graue Jogginghosen tragen, vermutlich Griechen, die nicht gefragt wurden, ob sie hier ausgestellt werden wollen; jedenfalls spielt das Ganze in Athen.

„Life Sport stellt die Frage nach den Arbeitskonditionen und Handlungsräumen von KünstlerInnen unter den gegenwärtigen ökonomischen Bedingungen“, heißt es dazu bedeutungsschwanger im Text. Soll heißen: In Griechenland haben sie grad kein Geld für Kunst und Künstlerförderung, dafür aber viel Leerstand bei den Läden und grassierende Armut. Also hat jemand diesen Laden in Athen gegründet, um die Sache „selbst in die Hand zu nehmen“ und zugleich der „Kommerzialisierung der Kunst“ entgegenzuwirken, wie Fanny Gonella sagt, die Leiterin des Künstlerhauses. Für sie ist der Jogginghosen-Shop eine „subversive Nutzung des kapitalistischen Systems“. Aber vielleicht zeigt er vor allem, wie begrenzt Kunst manchmal ist, wenn sie irgendwie politisch sein will. Und sich selbst ernster nimmt als es gut ist.

Zu sehen ist das Ganze im Rahmen der soeben eröffneten Ausstellung „Dazwischentreten“, einer Koproduktion des Künstlerhauses und des kunstwissenschaftlichen Mariann-Steegmann-Instituts (MSI), das sich, unter anderem, der „kritischen Wohnforschung widmet“, wie die Leiterin Kathrin Heinz sagt. Am 10. und 11. Juli veranstaltet das MSI eine internationale Tagung zu „Politiken des Häuslichen in Kunst“, in dessen Rahmen auch die Ausstellung läuft. Sie zeigt, anders als das Künstlerhaus sonst, Arbeiten jener KünstlerInnen, die hier ihr Atelier oder schon ausgestellt haben, aber nicht in der Galerie, sondern übers Haus verteilt. „Dazwischentreten“ will dabei das „Atelier als Kunstort“ für eine Ausstellung „produktiv machen“, wie Heinz sagt, und fragt, welchen Einfluss der Ort, an dem Kunst entsteht, auf eben diese hat. Das ist jetzt auch für Leute, die mit zeitgenössischer Kunst etwas mehr anfangen können, eine recht spezielle Frage. Deswegen bleibt die Ausstellung auch ein wenig selbstreferenziell, der eigenen Szene verhaftet. Etwas für Insider. Der nahe liegendste Gedanke in diesem Zusammenhang ist natürlich der an das Idyll vom genialen Künstler, der in aller Ruhe kontemplativ arbeitet. Auch hier taucht es darum immer mal auf. Gut ist die Ausstellung aber vor allem dort, wo sie eher etwas ironisch ist – oder zumindest so verstanden werden kann. Etwa Jeanne Fausts Video „Interview“, in dem es um den Künstlermythos geht, aber auch um Inszenierung und Authentizität. Spricht man mit den KünstlerInnen hier über ihre Arbeit, fangen ihre Sätze ganz oft mit einem strengen: „Ich untersuche in meiner Arbeit ...“ an – was eine Wissenschaftlichkeit und Objektivität vorspiegelt, die sie nicht hat oder braucht.

Ein anderes Thema ist das tradierte Bild des umherreisenden Künstlers – der heute meist als „artist in residence“ auftritt. Natürlich ist das inzwischen vor allem ein Wettbewerbsinstrument, ein Finanzierungsmittel, um „am Markt präsent“ zu bleiben und den eigenen Lebenslauf aufzupeppen. Für die Karriere.

Die Kolumbianerin Daniela Reine Téllez hat so ein Reise-Stipendium. Nun hat sie ihr Zelt im Künstlerhaus aufgeschlagen und mit Backsteinen beschwert. So lange die Ausstellung dauert, wird sie hier wohnen, in ihrem „Zeltkleid“, dort ihre Reise an die Grenzen des Schengen-Raums planen, die ihr Stipendium mit Kunst füllen soll. Bislang kommt das noch recht trivial daher.

Auch im Künstlerhaus haben sie ein Gastatelier, es ist jetzt leer, vollkommen leer: Das ist der Beitrag von Annika Kahrs und Gerrit Frohne-Brinkmann, die damit eine maklermäßige Anti-Gentrifidingsbums-Performance verbinden. Hier wird das Atelier gar als „Kultort“ verklärt – verbunden mit der schnöden Frage: „Wie eignet man sich als Künstler den Raum an“? Künstlersorgen.

„Real Estate“ führt dabei zugleich ein Versprechen der Ausstellungsmacher ad absurdum. Nämlich jenes, abseits des White Cubes auszustellen, in dem Kunst üblicherweise zelebriert wird. Zwar wird das ganze Künstlerhaus in Beschlag genommen, doch am Ende hat leider jeder, der hier ausstellt, wie selbstverständlich dann doch wieder seinen eigenen sterilen White Cube geschaffen. So bewegt man sich in gewohnten Bahnen.

■ bis 10. Juli, jeweils Freitag bis Sonntag, 14 bis 19 Uhr, Künstlerhaus, Am Deich 68