Der Preis der Milch

VERHANDLUNGEN Nach der Abschaffung der Milchquote kämpfen Bauern um eine faire Bezahlung. Doch was wäre fair? Der aktuelle Preis zumindest deckt nicht einmal die Kosten der Landwirte

Griechenlands Bauern kriegen mit 42 Cent weit mehr als ihre deutschen KollegInnen

VON HERMANNUS PFEIFFER

Am „Tag der Milch“ am 1. Juni haben Landwirte in vielen Orten Norddeutschlands das flüssige Lebensmittel literweise verschenkt. Andernorts wurde mit Mahnfeuern daran erinnert, dass die aktuelle Lage unsere Milchbauern vor „brennende Probleme“ stellt. Die es schnell zu lösen gelte. „Wir befinden uns nach 2009 und 2012 schon wieder in einer Milchmarktkrise, die an die Substanz der Betriebe geht“, klagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Milchviehhalter, Romuald Schaber.

Seitdem die Milchquote Anfang Mai fiel, fallen auch die Preise. „Die Molkereien zahlen den Milcherzeugern immer weniger“, schimpft der niedersächsische Milchbauer Ottmar Ilchmann. Der Bundesvorstand der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (ABL), in der auch Ökobauern vertreten sind, wünscht sich einen fairen Preis. Bio-Großhändler Alnatura wirbt sogar mit „fairen Preisen“ für seine Milchprodukte. Das heißt, die Molkerei, von denen Alnatura seine Milch bezieht, zahlt den Bauern ein paar Cent mehr.

Doch was ist ein fairer Preis? Der aktuelle scheinbar nicht. Die Auszahlungspreise der Molkereien liegen nach Angaben der ABL weit unter den Erzeugungskosten der Milchviehbetriebe. „Zurzeit zahlen die Molkereien um die 30 Cent je Liter“, sagt ein Verbandssprecher. Nötig wären aber 40 Cent. Dieser Betrag entspräche den „Vollkosten“ in der konventionellen Landwirtschaft. Darin enthalten sind die Kosten für die Aufzucht der Kälber, für Stall und Fütterung sowie der Lohn für die Arbeitszeit des Bauern. Ein unternehmerischer Gewinn fehlt in der ausdifferenzierten Kalkulation.

Nach Berechnungen der Milcherzeugergemeinschaft Milch Board deckt der Preis sogar nur 68 Prozent der Kosten ab und ist damit so niedrig wie zuletzt 2009. Dabei sind Preise von Bundesland zu Bundesland durchaus verschieden. Übrigens auch europaweit: Griechenlands Bauern kriegen nach Angaben der Europäischen Marktbeobachtungsstelle in Brüssel mit 42 Cent weit mehr als ihre deutschen KollegInnen.

Allerdings richtet sich der konkrete Preis nirgends nach den Kosten. Milchbauern schließen mit Molkereien oder Einzelhandelskonzernen meist langfristige Verträge mit variablen Preisen ab. Die Preise beim selben Abnehmer unterscheiden sich dann üblicherweise lediglich nach der Qualität der angelieferten Milch, vor allem dem Fettgehalt. Dieser liegt im Schnitt bei über vier Prozent und damit höher als bei der Trinkmilch im Laden.

Der Vollkostenansatz, wie ihn Bauernverbände fordern, hat noch eine weitere Schwachstelle: Die Kosten sind in den Betrieben unterschiedlich. Große Milchgenossenschaften im Osten können nach Auffassung des Agrarökonomen Tilman Becker von der Uni Hohenheim weit preiswerter produzieren und machten auch bei einem Abnahmepreis von nur 30 Cent noch Profit.

Am preiswertesten produzieren zurzeit offenbar viele ältere Bauern, die wissen, dass sie in wenigen Jahren aufhören und kein Nachfolger den Hof übernimmt. Sie investieren kein Geld mehr, etwa in die teure Erhaltung des Stalls. Dieses Finanzierungsschlupfloch nutzen vor allem Kleinbetriebe.

„Aus wissenschaftlicher Sicht kann man nicht sagen, was ein fairer Preis ist“, sagt Betriebswirtschaftsprofessorin Hiltrud Nieberg vom Thünen-Institut in Braunschweig, das sich im Auftrag des Bundes mit Agrarfragen beschäftigt. „Was ist fair – dass auch der Letzte noch Gewinn macht?“

Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik, dem auch Nieberg angehört, hält vor diesem Hintergrund eine Diskussion um faire Preise sogar für „irreführend“. Jedenfalls, wenn sie auf deren Höhe zielt. Entscheidend sei, dass gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle bestünden.

Doch auch aus fairen oder gerechten Regeln könnten „Marktergebnisse resultieren, die nicht sozialverträglich beziehungsweise verteilungspolitisch erwünscht sind“, heißt es in einem Gutachten des Instituts für das Landwirtschaftsministerium in Berlin. So unterscheiden sich die Bedingungen auf Schwarzwaldhöfen grundlegend von denen der Großagrarier in den „fetten“ norddeutschen Marschgebieten.

Den eigentlichen Grund für den Preisverfall sieht die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft in einem Überangebot an Milch: Bis Mai hatte die Milchquote das Angebot jedes einzelnen Landwirts noch gedeckelt. Doch nun müsse das Überangebot „verringert werden“, findet der Bauernverband. Eine Verringerung der Menge sei aber nur zu erreichen, wenn sie überbetrieblich koordiniert werde.

„Wir fordern daher die Molkereien auf, einen Bonus für diejenigen Milcherzeuger einzuführen, die ihre Erzeugung nicht ausdehnen oder sogar um wenige Prozentpunkte reduzieren“, sagt Bundesvorstand Ilchmann. Viele Molkereien sind als Genossenschaft organisiert und gehören den Bauern. Schon eine geringe Reduzierung der Milchmenge habe Signalwirkung, hofft der Bauernsprecher.

Es wird wohl bei der Hoffnung bleiben. „Fair und Preis haben wenig miteinander zu tun“, sagt der Hohenheimer Agrarökonom Becker. Fair appelliere an den ethischen Wert der Gerechtigkeit, der Preis dagegen bilde sich aus dem Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage – auch bei der Milch.