BEIM NUTZTIER, WAS BEREITS EIN ÜBLES WORT IST, SCHNEIDET DER MENSCH AB, WAS IHM UNPRAKTISCH ERSCHEINT. TÄTE MAN DAS BEI IHM SELBST, BLIEBE WENIG ÜBRIG. ABER GERADE ZEIGT ER MAL EINSICHT
: Nix abschneiden

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Lange Zeit dachte ich, Bullen hätten Hörner und Kühe nicht. Bis ich die ersten Bullen mit Euter sah. Ich dachte auch lange, Dobermänner hätten Stummelschwänze und spitze Ohren. Bis ich den ersten Dobermann mit Schlappohren sah. Anders als bei den Nutztieren wurden Hunde immer nur wegen des „guten Aussehens“ beschnitten. Ein Dobermann mit Schlappohren und eingerolltem Schwanz sieht nett aus, ein Dobermann sollte aber nicht nett aussehen, sondern scharf. Er sollte dem entsprechen, äußerlich, was der Mensch sich vorstellte.

Ein Tier, das beim Menschen lebt und überhaupt nur deshalb leben darf, muss immer einen Zweck erfüllen. Selbst der Schoßhund erfüllt einen Zweck und muss entsprechend aussehen. Süß nämlich und kuschelig und muss ein Stupsnäschen haben und ein duftendes Fell. Nutztiere erfüllen meist nur den einen Zweck, möglichst schnell Fleisch anzusetzen, damit sie dann gegessen werden können.

Zu diesem Zweck werden sie eng zusammengesperrt und wenn sie da dann nichts zu tun haben und sich kaum bewegen können, dann fangen sie an, an sich herumzupicken, wie die Hühner, denen dann eben die Schnäbel kupiert werden oder die Schweine, denen die Schwänze abgeschnitten werden.

Alles, was an Körperteilen von Tieren in der Massentierhaltung unpraktisch ist, wird kurzerhand, wenn es nicht lebensnotwendig ist, abgeschnitten. Den Kälbern werden die Hörner abgeschnitten, damit sie sich nicht damit verletzen können und die Schwänze gleich noch dazu.

Wenn man das Unpraktische am Menschen abschneiden wollte, und wenn unpraktisch das meinte, was sich schlecht auf die Welt auswirkt, dann bliebe nicht mehr viel dran am Menschen. So schneidet aber der Mensch dem Schwein den Schwanz ab, anstatt die Lebensbedingungen des Schweines so zu verändern, dass das Schwein andere Interessen hat, als die Schwänze seiner Artgenossen anzufressen. Denn Schweine fressen nicht immer und bevorzugt Schwänze. Sie haben sonst ganz andere Freizeitbeschäftigungen, wie man an den Wildschweinen sehen kann, die alle voll beschwanzt im Wald rumrennen, ganz frei von Schwanzfresslust.

Im Übrigen wird auch dem männlichen Menschen aus verschiedensten Gründen, die mehr oder weniger praktischer Natur sind, ein Stück Haut entfernt. Auch da kann man verschiedener Ansicht sein. Ich für meinen Teil bin in allen Fällen gegen das Abschneiden von Körperteilen, die gesund sind. Ich denke, wir alle, ob Mensch oder Tier, sind perfekt so wie wir sind. Es hat alles einen Sinn und deshalb ist es falsch, Sachen abzuschneiden. Deshalb begrüße ich es, dass jetzt endlich in Niedersachsen ein neuer Weg beschritten wird.

Landwirtschaftsminister Christian Meyer bietet den Landwirten 16,50 Euro für jedes unkupierte Schwein an. Die Interessengemeinschaft der Schweinehalter hat das begrüßt und das entsprechende Papier unterzeichnet. Geld ist eine feine Sache und kommt besser an, als das eigentlich geplante Kupierverbot. So tut sich was, für das Schwein, vielleicht kriegt es auch ein bisschen mehr Platz, für das Geld, denn das bisschen mehr Platz braucht es dann vielleicht, damit es nicht mehr so arg neurotisch ist. Vielleicht.

Am Ende lebt es dennoch nur kurz und wird gegessen. Aber nun. Immerhin mit Schwanz. Dem Dobermann darf schon länger der Schwanz nicht mehr abgeschnitten werden, aber der Hund hat sich frühzeitig eine bessere Position als das Schwein gesichert, er darf den natürlichen Alterstod sterben und im Hundebett schlafen, er wird gekuschelt und geküsst, er ist ein Freund des Menschen, das Schwein ist es nicht.

Auch wenn das Schwein das durchaus drauf hätte und seine Fähigkeiten denen des Hundes kaum nach ständen. Aber gerecht ist das nun mal nicht in der Welt.

Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg mit Interesse am Fremden im Eigenen. Ihr jüngster Roman „Eine Nacht und alles“ ist bei Rowohlt Berlin erschienen.