Die eine kann Talkshow, der andere Apparat

LINKSPARTEI Die Parteichefs Riexinger und Kipping wollen noch in dieser Woche eine Nachfolge für Gregor Gysi finden. Nur Sahra Wagenknecht muss sich noch entscheiden, ob sie mit Dietmar Bartsch antritt

Wagenknecht wisse „schon, dass sie da Verantwortung hat“, sagt Parteichef Riexinger

BERLIN taz | Es ist der Tag nach dem großen Abgang. Im Karl-Liebknecht-Haus übt sich Bernd Riexinger in demonstrativer Gelassenheit. „Wir waren vorher informiert“, sagt der Linkspartei-Vorsitzende über die Ankündigung Gregor Gysis, sich von der Spitze der Bundestagsfraktion zurückzuziehen. „Und wir sind auch nicht unvorbereitet.“

In einer emotional bewegenden Rede hatte Gysi am Sonntag auf dem Linke-Parteitag in Bielefeld mitgeteilt, dass er im Oktober nicht wieder als Fraktionschef kandidieren wird. Geht es nach Riexinger und seiner Ko-Vorsitzenden Katja Kipping, soll seine Nachfolge schnell geklärt werden. Sie hätten „den Ehrgeiz“, bis zur nächsten Sitzung des geschäftsführenden Parteivorstands am kommenden Montag „eine Lösung gefunden zu haben“, sagte Riexinger. Noch in dieser Woche werde es wohl eine Vorentscheidung geben. Nach den Statuten der Linkspartei haben die beiden Parteichefs das Vorschlagsrecht für die Besetzung der Fraktionsführung.

Fest steht nur, dass es künftig auch in der Fraktion eine Doppelspitze geben soll. „Es muss ein Tandem geben“, sagte Riexinger. Als heißeste AnwärterInnen gelten Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht – eine Variante, die schon lange in der Diskussion ist. An dem 57-jährigen Partei-„Rechten“ und der 45 Jahre alten linken Flügelfrau, bislang StellvertreterInnen Gysis, würde wohl kein Weg vorbeiführen, falls sie sich zur Kandidatur bereit erklärten. „Dafür spricht viel“, sagte Riexinger. Der Haken: Nach einer verlorenen Abstimmung in der Fraktion hatte Wagenknecht Anfang März erklärt, nicht antreten zu wollen. „Ich bin überzeugt, dass ich politisch letztlich mehr bewege, wenn ich mich auf das konzentriere, was ich am besten kann“, verkündete sie seinerzeit – und das sei nicht der Fraktionsvorsitz.

Ihre damalige Entscheidung habe er für „voreilig“ gehalten, sagte Riexinger – und ließ keinen Zweifel daran, sie noch mal umstimmen zu wollen. Es liefen bereits intensive Gespräche. Wagenknecht sei nach Gysi und ihrem Ehemann Oskar Lafontaine das bekannteste Gesicht der Linkspartei, stellte er ihre Bedeutung heraus. Deswegen begrüße er es, „dass sie die Sache noch mal überdenkt“, sagte Riexinger. Wagenknecht wisse „schon, dass sie da Verantwortung hat“.

Auch aus dem ihr ansonsten wenig wohlgesinnten „Reformer“-Flügel wird lautstark für eine Doppelspitze Wagenknecht/Bartsch getrommelt. „Sahra Wagenknecht würde als Fraktionsvorsitzende neben Dietmar Bartsch uns helfen, erfolgreich sein“, warb Fraktionsvize Jan Korte. Selbst Oberrealo Stefan Liebich schwärmt plötzlich von „einer unserer profiliertesten Politikerinnen“. Der schlichte Grund für solch ungewöhnliche Liebeserklärungen: Ohne Wagenknecht wird sich wohl auch Bartsch seine Ambitionen abschminken müssen.

Eine entsprechende Andeutung machte Riexinger am Montag: Falls das Modell mit den beiden exponierten FlügelvertreterInnen nicht klappen würde, sei auch ein „völliger Neuanfang“ denkbar. Möglich wäre für diesen Fall, die Fraktionsführung nicht nach der klassischen Flügelarithmetik zu besetzen, sondern zwei TeamplayerInnen in die erste Reihe zu rücken.

Als eventuelle KandidatInnen gelten die Thüringerin Martina Renner und der Hamburger Jan van Aken. Im starken Mittellager der Fraktion liebäugeln nicht wenige mit dieser Option. Denn beiden wird zugetraut, die zerstrittene Fraktion zusammenzuhalten: Sie gelten als ausgleichend und integrierend – nicht gerade die hervorstechendsten Eigenschaften von Wagenknecht und Bartsch. Zudem, so heißt es aus der Fraktion, berge es ein enormes Konfliktpotenzial, dass Wagenknecht machtpolitisch Bartsch hoffnungslos unterlegen sein dürfte. Denn der kann Apparat. Wagenknecht glaube hingegen, es reiche, Fensterreden zu halten und in Talkshows aufzutreten, um Mehrheiten zu organisieren. „Um die Tour de France zu gewinnen, braucht man mehr Eigenschaften, als nur im Einzelfahren stark zu sein“, spottet einer aus der Fraktion.

PASCAL BEUCKER