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Stuttgart ist besetzt. Von Christen. Pfadfindern. Christlichen Pfadfindern. Manche Ureinwohner beobachten die Kirchentagsbesucher interessiert. Andere haben sich seit Mittwoch verschanzt in ihren Wohnungen. Doch auch dort ist man nicht sicher vor dem Kirchentags-Flair. Bei Wulle-Bier wird auf Stuttgarter Balkonen über die Bedeutung von Religion diskutiert. Die Hemden der Pfadfinder kommen unter Style-Aspekten bei jungen StuttgarterInnen gut an. Ein neuer Hipster-Trend?

Winfried Kretschmann spricht. Über Kirche und Staat – öffentlich und privat. In der Schwabenlandhalle in Fellbach. Kretschmann räuspert sich in seiner Rede, erklärt, was wichtig ist beim Verhältnis Staat – Gesellschaft – Religionen. Grundgesetz, Gemeinschaft, Individualisierung, Religionsfreiheit, Verfassung, Kopftuch, Ehe für alle – kommt alles vor. Er döst aber mehr, als dass er Debatten befeuert. Räuspern. Die Zuschauer wollen mehr und fordern ihn mit kritischen Fragen heraus. Der Ministerpräsident wacht auf. Kurz wenigstens. Wird eloquent, fast charismatisch. Klatschen. Fertig. Tschüss, Fellbach.

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Fremdschäm-Moment: Ein Autor, der die Luther-Volksbibel geschrieben hat, steht mit Federkäppi am Christen-Bücher-Shop. Er sagt „Hey, ich bin der Luther von heute.“

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Wichtig für Homos beim Kirchentag: die schwule Dating-App Grindr. Deutlich mehr kontaktlustige Nutzer als sonst finden sich derzeit in Stuttgart. Von Usern hört man, dass sie gar nicht mehr hinterherkommen, all die Anfragen zu beantworten. Und dass ihnen aufällig viele bisexuelle Männer schreiben, die schon etwas älter sind.

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Unangefochtener Superstar beim Kirchentag ist der frühere UN-Generalsekretär Kofi Annan. Für jedes kurze Statement gibt es Applaus. Bei Sätzen wie „Solidarität macht uns erst zu Menschen“ rasten die Leute komplett aus. Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der irische Bischof Nick Baines sind auch da.

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Rezept für einen Kirchenpopsong: Gitarre, Schütteleier, Viervierteltakt (Musik). Teelöffel Leiden, dazu Rettung durch Gott und Preisen und Loben und Jesus (Text). Wiese, Menschentraube und TRänen (Deko). Zubereitung: Zutaten mischen und bei 34 Grad etwa vier Minuten rühren.

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Das dürfte manchem Christen nicht gefallen: Bei der Verfolgung von Homosexuellen in Kamerun spielen die Kirchen eine wichtige Rolle „Katholiken wie Protestanten haben Schuld auf sich gelade“, sagtt Alice Nkom, Menschenrechtsaktivistin aus Kamerun, am Samstagmorgen. Katholische Erzbischöfe hetzten in Predigten und Artikeln gegen Schwule: Sie seien schuld an der hohen Arbeitslosigkeit im Land. Die kamerunischen Protestanten verabschiedeten gar eine Resolution, forderten, der Staat müsse sich „mit allen Mitteln“ gegen die Rechte Homosexueller stemmen. Als Nkom in evangelischen Gottesdiensten dagegen protestierte, warf man sie aus der Kirche.

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In der „Rangelhalle“ kloppen sich schwitzige Jungs. Nur Jungs. „Damit sie mal ganz sie selbst sein können“, sagt der Religionspädagoge. An der Wand Verse von „Kriegern des Lichts“ oder vom „Kampf mit Gott“. Halleluja.

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Ganz klar, dass Torsten sich das auf keinen Fall entgehen lässt. Der 58-Jährige ist Christ und fährt seit 40 Jahren Motorrad. Ehrensache also, dass er sich am Samstagnachmittag auf seine BMW-Maschine geschwungen hat, um zum „Drive-in-Gottesdienst“ zu kommen. Denn auch hartgesottene Rocker und nicht minder taffe Rockerinnen brauchen schließlich einen Schutzengel. Dafür beten sie beim Motorradgottesdienst. Torsten betet übrigens dafür, dass andere Biker keine Fehler machen. Er selbst fährt nämlich vorsichtig genug – mit christlichem Liederbüchlein hinter den Windschutz geklemmt.

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Seniorinnen ganz unter sich. Ein Dialog vor dem Eisstand: „40 Jahre Wüste ist nichts gegen 40 Minuten heute hier.“