„Das Unwahrscheinliche wird wahr“

WÜNSCHEN In den Forschungsprojekten des Fundus-Theaters hilft das Wünschen noch: Da können Kinder mit Piraten sprechen, Spuk-Versicherungen abschließen oder mit Perücke in die Schule gehen

■ 33, hat Politologie sowie Regie und Dramaturgie studiert. Arbeitet als Performerin, Dramaturgin, Regisseurin und Theaterpädagogin. Sie promoviert im Graduiertenkolleg „Versammlung und Teilhabe“ an der Hafencity-Universität, ist Teil des Teams des Forschungstheaters und leitet den „Haarsalon“.

INTERVIEW FRIEDERIKE GRÄFF

taz: Frau Kowalski, ist das Projekt „Haarsalon“ aus der Erfahrung entstanden: je greifbarer das Forschungsobjekt, desto ergiebiger die Forschung?

Hannah Kowalski: Wir haben Lehrer gefragt, welche Themen sie gern vom Forschungstheater behandelt hätten. Und da kam immer wieder die Frage nach dem Kopftuch auf. Uns im Team wäre es auch aufgrund unserer Herkunft schwergefallen, etwas direkt zum Thema zu machen. Haare sind für uns ein Thema, das wissenschaftlich und künstlerisch und auch für Kinder sehr interessant sein kann.

Welche Fragen hatten die Kinder?

Kowalski: Ist man auffällig oder unauffällig, wenn man Kopftuch trägt – das hat sie beschäftigt. Darum geht es auch im Koran, das haben wir hier gelernt: nicht aufzufallen. In der Realität ist es aber so, dass man damit extrem auffällt.

Wie haben Sie mit den Kindern gearbeitet?

Kowalski: Wir haben uns mit verschiedenen Haarkulturen beschäftigt, es gab eine Einführungslecture, die zeigte, in welchen Kulturen es Kopfbedeckungen gibt und was die Gründe dafür sind. Am zweiten Tag gab es Vorträge von WissenschaftlerInnen und am dritten und vierten Tag waren Friseure da und haben die Haare der Kinder nach deren Wünschen verändert.

Waren die Jungen genauso interessiert wie die Mädchen?

Kowalski: Ich hatte im Vorfeld die Sorge, dass es für die Jungs nicht so interessant sein könnte, aber die waren genauso fasziniert, mit ihren Haaren zu experimentieren wie die Mädchen.

Hat Conchita Wurst als Mann mit weiblich gestylten Haaren eine Rolle gespielt?

Kowalski: Natürlich. Wir haben einen Jungen, der seine Feldforschung mit einer langen Frauenperücke macht. Er wird sie zwei Tage in der Schule tragen und gucken, was das verändert: Wie reagieren die anderen in einer Schule, wo die meisten Jungs ganz klassische Kurzhaar-Frisuren tragen?

Und die Mädchen?

Kowalski: Die hatten großes Interesse daran, Bärte zu tragen und werden sie auch in der Schule ausprobieren. Ein Mädchen, das sonst Kopftuch trägt, wird nach jüdischer Tradition Perücke tragen. Es gibt auch Kinder, die mit Afro-Look, Glatze oder mit historischen Looks kommen werden. Mit der Zeit wurden sie immer experimentierfreudiger.

Frau Peters, verlernen die Kinder irgendwann das Fragen?

Sibylle Peters: Das ist eine große Frage. Ich würde sagen: Das ursprüngliche Forschen, das wir versuchen für die Kinder, aber auch für uns zu erhalten und wiederzufinden, ist eines, das von Wünschen ausgeht. Es geht davon aus, dass man etwas erreichen oder erleben will und dann probiert, ob man es über Trial und Error bekommt.

Und diese Art des Forschens wird über die Jahre verschüttet?

Peters: Im Sozialisierungsprozess wird einem beigebracht, was es sich zu wünschen lohnt und welches die Wege sind, es zu bekommen. Sobald man über diesen Tellerrand nicht mehr hinausguckt, sieht es schlecht aus für den Forschungsimpuls.

Wie beleben Sie den wieder?

Peters: Wir versuchen in Allianzen von Wissenschaftlern, Künstlern und Schulen auch das Unwahrscheinliche wahr werden zu lassen: dass es uns gelingt, mit Piraten zu sprechen, unser eigenes Geld zu drucken oder eine Geistersuche in der Schule zu machen. Da ist auch der Haarsalon ein gutes Beispiel. Das ist zwar nichts Unwahrscheinliches, aber die Friseure haben gesagt: Wir sind noch nie so begeistert gefeiert worden wie hier.

Liegt das auch daran, aus welchen Stadtteilen die Schüler kommen?

Peters: Die Arbeit mit Gruppen, die sehr divers zusammengesetzt sind, ist spannender. Die haben oft auch eine höhere Motivation, sich zu beteiligen.

■ 43, ist Leiterin des Forschungstheaters im Fundus-Theater. Außerdem leitet sie das künstlerisch-wissenschaftliche Graduiertenkolleg „Versammlung und Teilhabe“ der Hafencity-Universität.

Es klingt so, als hätten Sie selbst eine Menge Spaß dabei.

Peters: Es ist auch anstrengend, mit Kindern zu arbeiten, es ist aber auch unser Traumberuf. Es ist immer etwas anderes: Im Augenblick haben wir den Haarsalon, dann werden wir zu Kinderbankern und dann zu Angestellten der Spukversicherung.

Wie kommen Sie zu den Themen?

Peters: Einerseits werden wir von kulturwissenschaftlichen Diskursen beeinflusst, zugleich haben wir seit zwölf Jahren eine wachsende Sammlung mit Wünschen von Kindern, etwa aus unseren Wunschrunden: „Kommt eine Fee, was willst Du?“

Wie kontrovers können Sie sein, etwa bei der Forschung zu den Piraten, die damals in Hamburg vor Gericht standen?

Peters: Kindertheater findet immer mit allen Teilen der Gesellschaft statt. Entsprechend würde ich behaupten, dass unsere Projekte ausgewogen sind. Bei den Piraten haben wir uns auch damit beschäftigt, dass unser damaliger Mäzen, dem wir zu großem Dank verpflichtet sind, sein Geld in der Schiffsökonomie verdient hat.

Jener Mäzen hat es gefasst aufgenommen?

Peters: Ja.

■ „Ein Haarsalon“: Sa., 13. 6., 15 und 17 Uhr, Fundus-Theater