Melodie des Zorns

FEMINISMUS Schluss mit Wohlverhalten: Laurie Penny stellt ihr leidenschaftliches Plädoyer für das Aufbegehren gegen die Frauenfresser vor

So kompromisslos wie heute war Laurie Penny früher nicht: Sie ging wählen, unterschrieb Petitionen und plädierte für einen Wandel innerhalb des Systems. „Wohlverhalten bringt uns nicht weiter!“, schreibt sie nun und ruft ausdrücklich zur Meuterei auf. Die 1986 in London geborene Autorin litt selbst unter der unfeministischsten Krankheit der westlichen Zivilisation: „Magersucht“. Immer wieder spickt sie ihr auf Revolution – jetzt! – und Gegenwehr angelegtes Buch mit Passagen über ihren Klinikaufenthalt als junges Mädchen.

Penny fordert eine Revolution, die sie gegen sich selbst und ihre inneren Fesseln zu gewinnen hofft. Viele der Versuche, den Drang nach Freiheit von den durch Sozialisation implementierten Fesseln zu lösen, landen mit Kotze und Drogen im Bett gleichgeschlechtlicher Leidensgenossinnen. Penny ist eine Verzweifelte, eine Starke, eine Zerbrochene – und eine, die alles überlebt. Einzig ihre eigene Leidenschaft könnte ihr scheinbar im Weg stehen, wäre sie nicht eine ebenso kluge wie mutige Autorin geworden.

Hier, zwischen Zeilen und Seiten, auf einem von gesellschaftliche Normen mit Minenfeldern kontaminierten Terrain, tritt sie ihre Geisterbahnfahrten zwischen Inhalt und kurvenreicher Fabulierkunst an. Klug kategorisierend navigiert sie die Lesenden durch die Unbilden einer schroffen Gesellschaft, in der noch im Blockupy-Zeltlager die Vergewaltigungsrate steigt, Frauen nach wie vor unterbezahlt werden und auch zarte männliche Wesen nichts vom weißen Alpha-Kuchen abbekommen.

Zärtlich beschreibt Laurie Penny die ebenso leidenden Opfer der Frauenfresserindustrie und klüngelt mit den Unterdrückten. Dabei sind Schönheitsideale und Anpassungsstörungen, Selbsthass und Ritzschwestern gleichermaßen Eckpfeiler und Leuchtreklamen in einer vom Sturm der Ungerechtigkeiten und Unterdrückung gepeitschten Welt. Ihre Texte strömen dabei immer einen schroffen Charme aus; nicht zuletzt haben sie eine Lösung parat: Das Gruseln und Schaudern und das eigene psychosomatische Leiden sind einem Zorn gewichen: dem Zorn auf die hässlichsten Ungereimtheiten eines neoliberal abgefuckten Systems.

Laurie Penny etabliert diesen unbändigen Sturm, der durch ihr Buch fegt, ihr leidenschaftliches Plädoyer für den Kampf gegen das Unfaire zu einer eindringlichen Melodie. Ihr Buch „Unsagbare Dinge – Sex, Lügen und Revolution“ (Edition Nautilus 2015, 288 S., 16,90 Euro) ist ein Ohrwurm des Widerstands, der Revolution. Er sei unseren Töchtern dringend als Handreichung zum Überleben empfohlen – spielt ihn laut!  KATJA LAH

■ Mo, 8. 6., 20 Uhr, Uebel & Gefährlich, Hamburg