Jede Menge Ablenkung

BERLIN-FESTIVAL IN DER ARENA

Braucht Berlin Pop-Events, die Animation nach Clubmed-Art durchspielen?

Musik liegt in der Luft. Für das Berlin-Festival, erste von drei Pop-Großveranstaltungen, die in diesem Sommer in der Stadt gastieren, gilt dieser bedeutungsschwangere Slogan höchstens nebenbei. Am Sonntagabend, letzter Tag des dreitägigen Festivals, lag penetranter Schmelzkäseduft in der Luft, mit einem auch an Kotze gemahnenden Odorama, das sich vor dem Badeschiff, einer der Locations des Berlin-Festivals in der Arena Treptow, ausbreitete. Für die Geruchsbelästigung genügte eine Besucherin, die mit ihrem Papptellerfraß durch den Sand stapfte. Dabei legte Carl Craig, eine House-DJ-Legende aus Detroit, zur Primetime auf. Weder seine eigentlich zwingende Trackauswahl noch die gute und friedfertige Stimmung der Tanzenden vor dem DJ-Pult sorgte für gesteigerte Aufmerksamkeit.

Gedränge entstand erst, als gegen Ende von Craigs Set eine Kamarilla von Badenixen mit Fackeln in den Pool stieg, der in einer alten Schute auf der Spree eingelassen ist. Im Feuerschein wurde nun Wassergymnastik vollführt. Braucht Berlin Events, die Popkultur benutzen, um Animation nach Clubmed-Art durchzuspielen?

Mit Blick auf das mehrheitlich touristische Publikum des Berlin-Festivals muss man die Frage schärfer formulieren: Was haben Berliner Popfans eigentlich von solchen Veranstaltungen? Es beschlich einen der Verdacht, sie sind nicht mehr die Zielgruppe. Ersichtlich etwa am Chipbändchen, das den Zahlungsverkehr auf dem Festivalgelände regelte und Besucher aus angloamerikanischen Ländern ansprach, die im Umgang mit Kreditkarten und privaten Daten noch schmerzbefreiter sind als wir.

Logisch, wer ein Popfestival besucht, bekommt für die happigen Eintrittpreise jede Menge Ablenkung serviert, auch das Berlin-Festival spielte virtuos auf dieser Klaviatur: Graffiti-Workshop, Critical-Mass-Fahrradrallye und Guerilla-Gardening-Kübelbepflanzung. Auch ein durchgebrandetes Event wie das Berlin-Festival („Musikdurstig“ verhieß der Getränkesponsor) versucht noch einen Rest Berliner Dissidenz im Programm: Nur kennen das die geneigten Großstadtbewohner längst aus der Alltagspraxis. Kennenlernen wollen sie Popstars, die sonst nicht in der Stadt auftreten. Etwa die irische Sängerin Róisín Murphy. Als sie in der Sonntagnacht die Bühne der großen Arena-Halle betrat, mischte sich die Freude über ihr grandioses Konzert mit dem Ärger über das Pfand für den Becher, das es nur bei Preisgabe der Kontodaten und E-Mail-Adresse zurückgab. JULIAN WEBER