LESERINNENBRIEFE
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Merkel hofiert ein Monster

■ betr.: „Es ist eine Schande“, taz vom 4. 6. 15

Al-Sisi, ein Diktator, der seine Gegner hinrichten lässt. Ein Mann des ägyptischen Militärs, der auch seinen Vorgänger aufhängen lassen will. Das Blut seiner unzähligen Opfer ist noch nicht mal getrocknet. Doch die mächtigste Frau der EU, unsere Staatsspitze, stört all das offensichtlich wenig. Was könnte ich meinen Schülern im Politikunterricht erzählen? Ja, die Demokratie ist unantastbar … Politikverdrossenheit, Partizipation, die Würde des Menschen, soziale Gerechtigkeit, Volksherrschaft, freie Wahlen, Grundrechte, Gewaltenteilung, Mehrheitsprinzip, Medien- und Pressefreiheit … Dann wird einer wie Sisi hier hofiert, nicht mal durch die Hintertür, wie man es bei anderen Monstern macht. Frau Merkel, Sie haben Ihr Gesicht mal wieder verloren. So wie Sie mich zwingen, mein Gesicht vor meinen Schülern zu verlieren. SAAD FIDAOUI, Buchholz

Die Elite

■ betr.: „Das Bildungsbibbertum“, taz vom 30. 5. 15

Die Sache geht noch weiter. Heute melden Eltern ihre zehnjährigen Kinder bereits mit Bewerbungsmappen fürs Gymnasium an. Auch Babys werden mit solchen Mappen für Krabbelstuben und Kindergärten angemeldet. Statt Lebenslauf liegt dann ein Video mit den lieben Kleinen bei. Eltern, die diesen Blödsinn nicht mitmachen wollen, bringen ihre Kinder in Nachteil. Der oder die Stärkere siegt! Die neoliberale Elite reproduziert sich mit Hochglanzmappen. Aber die Kinder werden älter, und wenn sie keine Ego-Monster werden wollen, gibt’s immer noch die Ausstiegsoptionen handwerkliche Lehre, Pflegeberufe oder Depressionen, Drogen und Selbstmord wegen zu früher Überforderung. DIETER MAIER, Frankfurt

Streikfront spalten

■ betr.: „Jetzt sollen die Schlichter ran“, taz.de vom 4. 6. 15

„… ein Entgegenkommen der Gegenseite gab es nicht“, schreibt ihr. Wird es entgegen der Ankündigungen wohl auch nicht geben, weil die Städte und Kommunen genau die Perspektive einnehmen, die von den Streikenden angegriffen worden ist: Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst sollen mit langsam sinkenden Einkommen zufrieden sein, weil die Politik keine höheren oder effektiveren Steuern eintreiben will. Dass nun ausgerechnet in dieser Situation ein Schlichter eingesetzt wurde, kann nur ein Fehler sein. Der Druck ist damit nämlich raus und das wird die verhärtete Haltung der öffentlichen Arbeitgeber und ihrer Systemparteien verstärken. Deren Strategie setzt darauf, die Streikfront zu spalten. ANDREAS_2020, taz.de

Wer kann das bezahlen?

■ betr.: „Die Verdrängten“, taz vom 30. 5. 15

„Dank“ der zunehmenden Individualisierung unserer Gesellschaft und der zunehmenden Notwendigkeit der Berufstätigkeit beider Elternteile für das wirtschaftliche Überleben einer Familie gibt es immer weniger traditionelle Familien, in denen ein Elternteil als Alleinverdiener auswärts berufstätig ist und Frau und Kinder die Vorteile eines „Häuschens im Grünen“ zu schätzen wissen. Mit der Folge, dass immer mehr Menschen im erwerbsfähigen Alter mitsamt ihren Kindern in die Großstädte und Ballungsräume drängen, um die Wege zum Arbeitsplatz so kurz und kostengünstig wie möglich zu halten. Doch: Wer sind die zahlreichen zahlungskräftigen Mieter, die sich die um das Doppelte bis Dreifache erhöhten Wohnungsmieten nach der Gentrifizierung etlicher großstädtischer Stadtteile wirtschaftlich leisten können? Die gesellschaftliche Oberschicht hat nicht im gleichen Umfang zugenommen, wie die Mittelschicht in den letzten Jahren geschrumpft ist. Und die zunehmende Unterschicht kann sich derartige Wohnungsmieten wirtschaftlich nicht leisten. ELGIN FISCHBACH, Leimen